Leitsatz (amtlich)

1. Bei einem neuen Motorrad kann eine für den Versicherer gem. § 6 Abs. 3 VVG leistungsbefreiende Obliegenheitsverletzung erst angenommen werden, wenn die Angabe des VN zur Laufleistung mit "ca. 2.400 km" um mindestens 1.000 km zu gering war.

2. Allein durch die Auswertung der Schlüssel auf die Anzahl der Schließbetätigungen und die durch die Nutzung des Motorrades (etwa durch Vibration) entstehenden Gebrauchsspuren lässt sich im Regelfall mit der gem. § 286 ZPO erforderlichen Gewissheit eine solche Obliegenheitsverletzung nicht feststellen, wenn der Sachverständige eine Laufleistung von 2.400 km ausschließt und tendenziell von etwa der doppelten Laufleistung überzeugt ist, solange der Versicherer nicht im Rahmen dieser engen km-Differenz ein nicht plausibles Nutzungsverhalten durch den VN nachweist (etwa auch: Länge der gefahrenen Teilstrecken, Fahrbahnbeschaffenheiten), weil dann Zweifel an der Aussagekraft der Spuren verbleiben.

 

Normenkette

VVG § 6 Abs. 3

 

Verfahrensgang

LG Lüneburg (Urteil vom 19.01.2007; Aktenzeichen 5 O 264/06)

 

Tenor

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 19.1.2007 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 6.962,07 EUR zzgl. Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23.4.2006 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz tragen der Kläger 14 % und die Beklagte 86 % mit Ausnahme der Kosten der Beweisaufnahmen, die die Beklagte alleine trägt.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

Die Berufung ist teilweise begründet. Das angefochtene Urteil beruht insoweit teilweise auf einem Rechtsfehler (§ 513 Abs. 1, Alt. 1, § 546 ZPO). Ferner rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen die angefochtene Entscheidung nicht in vollem Umfang (§ 513 Abs. 1, Alt. 2 ZPO).

Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Zahlung von 6.962,07 EUR aus der mit der Beklagten geschlossenen Teilkaskoversicherung gem. §§ 1 Abs. 1 Satz 1, 49 VVG, §§ 12, 13 AKB infolge der Entwendung seines Motorrades am 22.3.2006 zu.

1. Der Kläger hat das äußere Bild des Entwendungstatbestandes seines Motorrades nachgewiesen.

Für einen behaupteten Diebstahl eines Kraftfahrzeuges bzw. Motorrades genügt der Versicherungsnehmer zunächst seiner Darlegungs- und Beweislast, wenn er Anzeichen behauptet und ggf. beweist, die mit hinreichender Wahrscheinlichkeit das äußere Bild eines Diebstahls ergeben. Dieses äußere Bild eines Diebstahls ist im allgemeinen schon dann gegeben, wenn der Versicherungsnehmer das Fahrzeug zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort abgestellt hat, an dem er es später nicht mehr vorfindet (BGHZ 130, 1, 3; BGHZ 132, 79, 81; VersR 2002, 431; VersR 1999, 181; VersR 1993, 571, 572). Diesen Minimalsachverhalt hat der Versicherungsnehmer in vollem Umfang zu beweisen. Beweiserleichterungen kommen ihm hierbei nicht zu. Falls dem Versicherungsnehmer keine Zeugen zur Verfügung stehen, kann das Gericht im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses die Behauptungen und Angaben des Versicherungsnehmers im Rahmen einer persönlichen Anhörung gem. § 141 ZPO unter Umständen auch dann glauben, wenn dieser ihre Richtigkeit sonst nicht beweisen kann (BGHZ 132, 79, 82; VersR 1993, 571, 572).

Vorliegend hat das LG den Kläger persönlich nach § 141 ZPO angehört. Dieser hat nachvollziehbar geschildert, wie er das Motorrad abgestellt und nach seiner Rückkehr zum Abstellplatz nicht wieder vorgefunden hat. Die erkennende Einzelrichterin hat sich in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ausführlich mit den Angaben des Klägers in dessen Anhörung auseinandergesetzt und ihm Glauben geschenkt. Anhaltspunkte für eine fehlerhafte Beweiswürdigung des LG sind nicht ersichtlich. Die unter 2. erörterten Verdachtsmomente, die für eine "ungenaue" Angabe des Klägers zur Laufleistung des Motorrades sprechen könnten, hindern weder, seinen Angaben zum Minimalsachverhalt zu folgen, noch erlauben sie, die erhebliche Wahrscheinlichkeit der Manipulation festzustellen:

Beweist der Versicherer konkrete Tatsachen oder sind diese unstreitig, die die Annahme mit erheblicher Wahrscheinlichkeit nahe legen, dass der Diebstahl nur vorgetäuscht ist, so braucht er nicht zu leisten, wenn nicht der Versicherungsnehmer seinerseits den Vollbeweis für den Diebstahl erbringt (BGH NJW 1996, 993; VersR 1993, 571, 572). Hier kommt es auf eine Gesamtschau an, wobei auch falsche Angaben über die Laufleistung des Fahrzeuges zwecks Erschleichens einer höheren Entschädigung ein Indiz bilden können. Insoweit handelt es sich hier um die Problematik, die auch für die Frage der Obliegenheitsverletzung relevant ist. Unabhängig von dem fehlenden Nachweis der falschen Angaben des Klägers über die Laufleistung seines Mot...

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