Entscheidungsstichwort (Thema)
Zeitliche Grenzen der Ersatzfähigkeit unfallbedingter Mietwagenkosten; Umfang der Obliegenheit des Geschädigten zur Schadensminderung; Beginn der Verjährung von Schadensersatzansprüchen aus einem Verkehrsunfall; Voraussetzungen der Hemmung der Verjährung während der Prüfung der Ansprüche durch die gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung vorgehend
Leitsatz (amtlich)
Mietwagenkosten sind unverhältnismäßig, wenn sie jeden Maßstab einer wirtschaftlich vernünftigen Schadensbehebung sprengen. Im Rahmen seiner Schadensminderungspflicht obliegt es einem verständigen Geschädigten, der diese wirtschaftliche Unverhältnismäßigkeit erkennt, einen Gebrauchtwagen als Interimsfahrzeug anzuschaffen oder zunächst eine Notreparatur vorzunehmen.
Für den Eintritt einer Verjährungshemmung gem. § 115 Abs. 2 Satz 3 VVG ist weder eine konkrete Bezifferung des Schadens noch eine lückenlose Aufzählung der einzelnen erlittenen Schäden erforderlich.
Der Geschädigte verstößt nicht gegen seine Obliegenheit zur Schadensminderung, wenn er eine von einem von ihm beauftragten Sachverständigen für unwirtschaftlich erachtete Notreparatur nicht vornehmen lässt, sondern für die - wenn auch erhebliche - Dauer der Reparatur einen Mietwagen angemietet.
Normenkette
BGB §§ 195, 249 Abs. 2, § 254 Abs. 2; StVG § 7; VVG § 115 Abs. 2 S. 2
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 18.01.2023; Aktenzeichen 18 O 140/21) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der Einzelrichterin der 18. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom 18. Januar 2023 - 18 O 140/21 - teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 5.939,17 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 24. Dezember 2019 sowie weitere 527,00 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 5. Juni 2021 zu zahlen.
Die Anschlussberufung wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits (beider Instanzen) trägt der Beklagte.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert des Berufungsverfahrens beträgt 5.724,17 EUR.
Gründe
(gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO)
I. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin hat in der Sache Erfolg. Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte Anschlussberufung des Beklagten hat keinen Erfolg.
1. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Ersatz der Mietwagenkosten in Höhe von insgesamt 5.939,17 EUR gem. § 7 Abs. 1 StVG, § 6 AuslPflVG, § 398 BGB, § 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.
a) Gem. § 249 Abs. 2 BGB sind grundsätzlich die Kosten zu ersetzen, die ein verständiger, wirtschaftlich denkender Mensch in der Lage des Geschädigten zum Ausgleich des Gebrauchsentzuges seines Fahrzeuges für erforderlich halten durfte (BGH, Urteil vom 2. März 1982 - VI ZR 35/80, Rn. 9, juris). Allerdings dürfen dem Schädiger keine unverhältnismäßigen Aufwendungen auferlegt werden. Das ergibt sich aus dem Grundsatz der Schadensminderungspflicht. Die Vorschrift des § 254 Abs. 2 BGB findet im Rahmen des § 249 BGB sinngemäß, d.h. mit ihrem letztlich auf § 242 BGB zurückzuführenden Grundgedanken Anwendung (OLG Karlsruhe, Urteil vom 10. Februar 2014 - 13 U 213/11, Rn. 22, juris).
Der Unfallgeschädigte hat nach diesem Grundsatz die Pflicht, diejenigen Maßnahmen zu treffen, die nach allgemeiner Auffassung nach Treu und Glauben von einem ordentlichen Menschen getroffen werden müssen, um den Schaden von sich abzuwenden oder zu mindern, wobei für einen schuldhaften Verstoß gegen diese Pflicht bzw. diese Obliegenheit der Schädiger beweispflichtig ist (OLG Koblenz, Urteil vom 6. März 2023 - 12 U 1409/22, Rn. 6, juris).
Einen Verstoß gegen die der Geschädigten obliegende Schadensminderungspflicht konnte der Beklagte nach den Feststellungen des Landgerichts nicht beweisen. Insoweit hätte festgestellt werden müssen, dass der Geschädigten bzw. ihrem Prozessbevollmächtigen die grundsätzliche Möglichkeit einer Notreparatur und deren Wirtschaftlichkeit ggü. den anfallenden Mitwagenkosten bekannt waren und sie diese dennoch unterlassen haben. Eine derartige Behauptung hat bereits der Beklagte nicht erhoben und ist auch ansonsten nicht ersichtlich.
Unstreitig lag der Geschädigten ein Gutachten ihres Privatsachverständigen M. vom 17. August 2017 vor (Anlage K15, Bl. 82 ff), der eine Reparatur vorschlug und dafür ca. 8.247,12 EUR (brutto) veranschlagte. Mit Schreiben vom 28.3.2018 (Anlage K11, Bl. 44) wies er darauf hin: "Eine Notreparatur für das in Rede stehende Fahrzeug hätte einen erheblichen Aufwand erfordert und wäre unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt gewesen." Mit einer weiteren Stellungnahme vom 30. April 2018 (Anlage K19, Bl. 112) erläuterte der Privatsachverständige seine Auffassung wie folgt: "Um das Fahrzeug mittels Notreparatur in einen verkehrssicheren sowie fahrfähigen Zustand zu versetzen, wäre ein erheblicher Eingriff in die Karosser...