Entscheidungsstichwort (Thema)

Haftung bei berührungslosem Unfall

 

Leitsatz (amtlich)

Bei einem berührungslosen Unfall ist Voraussetzung für die Zurechnung des Betriebs eines Kraftfahrzeugs zu einem schädigenden Ereignis, dass es über seine bloße Anwesenheit an der Unfallstelle hinaus durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen hat (siehe auch BGH VersR 2017, 311 ff.).

 

Normenkette

BGB § 249; StVG §§ 7, 17; VVG §§ 86, 115

 

Verfahrensgang

LG Hannover (Entscheidung vom 09.10.2017; Aktenzeichen 12 O 288/16)

 

Tenor

Unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wird auf die Berufung der Klägerin das am 9. Oktober 2017 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪12 O 288/16 ≫ teilweise abgeändert und die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 1.281,70 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 10. Oktober 2016 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits haben die Klägerin 79 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 21 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Gründe

(abgekürzt gem. §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO)

I. Die zulässige Berufung der Klägerin ist im tenorierten Umfang begründet.

1. Der Klägerin steht gegen die Beklagten als Gesamtschuldner ein Erstattungsanspruch hinsichtlich der an die Zeugin S. erstatteten Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 27. Juli 2016 auf der Kreuzung S.straße/M.straße/B. Allee in H. gemäß §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG, 115 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 4 VVG, 249 ff. BGB, 86 Abs. 1 VVG in Höhe von 1.281,70 EUR zu. Die Beklagten haften dem Grunde nach quotal für die Unfallfolgen aus Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs, welche hier mit 20 % zu bemessen ist.

a) Die der Zeugin S. durch das Auffahren der Zeugin H. auf den Pkw der Zeugin S. entstandenen Schäden sind bei Betrieb des Beklagtenfahrzeugs i. S. d. § 7 Abs. 1 StVG entstanden.

(1) Beim Betrieb eines Fahrzeugs hat sich ein Unfall ereignet, wenn sich eine Gefahr realisiert, die mit dem Fahrzeug als Verkehrsmittel verbunden ist. Dabei hat das Landgericht zutreffend erkannt, dass es für eine Zurechnung der Betriebsgefahr nicht auf einen Kontakt der am Unfall beteiligten Fahrzeuge ankommt. Der Begriff "bei dem Betrieb" ist weit zu fassen (BGH, NVZ 2014, 207). Ausreichend ist, dass bei einer wertenden Betrachtung das Schadensgeschehen durch das Kfz zumindest mitgeprägt worden ist (BGH, NZV 2015, 327). Dabei reicht die bloße Anwesenheit eines im Betrieb befindlichen Kfz an einer Unfallstelle nicht aus. Vielmehr ist ein naher zeitlicher und örtlicher Zusammenhang mit einem Betriebsvorgang des Kfz erforderlich, wobei sich eine vom Kfz ausgehende Gefahr ausgewirkt haben muss, mithin das Fahrzeug durch seine Fahrweise oder sonstige Verkehrsbeeinflussung zu der Entstehung des Schadens beigetragen haben muss (BGH, NJW 2017, 1173).

(2) Vorliegend ist von einem zeitlichen und örtlichen Zusammenhang des Betriebs des Beklagtenfahrzeugs zu dem Bremsmanöver der Zeugin S. und dadurch bedingten Auffahren der Zeugin H. auszugehen. Der Beklagte zu 1 hatte unstreitig mit seinem Fahrzeug von der S.straße kommend die für ihn geltende Haltelinie im Bereich der Kreuzung S.straße/M.straße/B. Allee überfahren und war zunächst im Bereich zwischen Haltelinie und Kreuzungsviereck - verkehrsbedingt - zum Stehen gekommen. Zur Überzeugung des Senats (dazu unten) ist der Beklagte zu 1 - nachdem die Kreuzung wieder frei war - dann jedoch zumindest bis in den Bereich des Kreuzungsvierecks vorgefahren, während der von der B. Allee kommende Linksabbiegeverkehr schon grün hatte. Nach den glaubhaften Angaben der Zeugin S. hatte diese aufgrund dieses Fahrmanövers des Beklagten zu 1 die Sorge, er würde ihre Fahrspur kreuzen, so dass diese eine Vollbremsung durchgeführt hat.

Für die Haftung der Beklagten aus Betriebsgefahr kann dabei dahinstehen, ob das Bremsmanöver der Zeugin S. zur Vermeidung einer Kollision mit dem Beklagtenfahrzeug objektiv oder subjektiv erforderlich war oder sich als einzige Möglichkeit darstellte, eine Kollision zu vermeiden und ob der Beklagte zu 1 sein Fahrzeug nach Erkennen des bevorrechtigten Verkehrs mit Abstand zur Linksabbiegerfahrspur der Zeugin S. wieder zum Stehen gebracht hat, da auch ein Unfall infolge einer voreiligen, objektiv nicht erforderlichen (Über-)Reaktion dem Betrieb des Kfz zuzurechnen ist, das diese Reaktion ausgelöst hat (BGH NJW 2010, 3713; OLG Brandenburg, Urt. v. 12. September 2017 - 12 U 1/17 - juris).

b) Ein Fall höherer Gewalt i. S. d. § 7 Abs. 2 StVG liegt offenkundig nicht vor.

c) Keine der am Verkehrsunfall beteiligten Parteien kann Unabwendbarkeit im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG für sich in Anspruch nehmen.

(1) Die Zeugin H. hat gegen die Pflichten aus §§ 3 Abs. 1 S. 4, 4 Abs. 1 S. 1, 1 StVO verstoßen, da sie - wie sich aus dem Unfallgeschehen zeigt - nicht mit der gebo...

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