Leitsatz (amtlich)
Zum Begriff des Wegeunfalls i. S. v. § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII
Normenkette
SGB VII §§ 105, 8 Abs. 2 Nr. 1
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 29.06.2001; Aktenzeichen 4 O 144/01) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 29. Juni 2001 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des Landgerichts Verden unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels teilweise geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger ein Schmerzensgeld in Höhe von 15.338,76 EUR (= 30.000 DM) nebst 4 % Zinsen seit dem 27. März 2001 zu zahlen.
Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger alle ihm zukünftig noch entstehenden immateriellen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 auf der B 51 zwischen Bremen und Bassum zu ersetzen, soweit diese derzeit noch nicht hinreichend sicher vorhersehbar sind.
Wegen der Zinsmehrforderung bleibt die Klage abgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer: 17.895,22 EUR (= 35.000 DM).
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
Die Berufung hat in der Hauptsache in vollem Umfang Erfolg. Dem Kläger steht wegen der Verletzungen, die er bei dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 auf der B 51 zwischen Bremen und Bassum als Beifahrer des von seinem Bruder geführten und bei der Beklagten haftpflichtversicherten Pkw Mercedes Benz erlitten hat, gemäß §§ 847 BGB, 3 PflVersG gegenüber der Beklagten ein Schmerzensgeld in der ausgeurteilten Höhe zu.
1. Im Gegensatz zur Auffassung des Landgerichts greift hier die Haftungsbeschränkung des § 105 SGB VII nicht zugunsten der Beklagten ein. Denn bei dem hier zu beurteilenden Verkehrsunfall handelt es sich um einen von dieser Haftungsbeschränkung ausgenommenen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII. Die von dem Mitarbeiter eines Betriebes herbeigeführten Wegeunfälle nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII sind von der Haftungsbeschränkung ausgenommen worden, weil die betrieblichen Risiken dort keine Rolle spielen und dem Versicherten unter diesen Voraussetzungen möglicherweise bestehende weitergehende Ansprüche nicht abgeschnitten werden sollten. Allerdings umfasst die Ausnahme von der Haftungsbeschränkung nicht die Betriebswege, die Teil der den Versicherungsschutz begründenden Tätigkeit und damit bereits gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII versicherte Tätigkeit sind.
Für die Abgrenzung, ob der Versicherungsfall bei einem – danach in die Haftungsbeschränkung einbezogenen – Betriebsweg oder einem – von der Haftungsbeschränkung ausgenommenen – nach § 8 Abs. 2 Nr. 1 bis 4 SGB VII versicherten Weg eingetreten ist, ist entscheidend, ob sich ein betriebliches Risiko oder ein normales Risiko verwirklicht hat, das nach dem Willen des Gesetzgebers aus Gründen der Gleichbehandlung nicht zu einem Haftungsausschluss gegenüber dem Schädiger führen soll. Für die Annahme eines innerbetrieblichen Vorgangs reicht allein der betriebliche Zweck einer (späteren) Unglücksfahrt nicht aus. Vielmehr muss hinzukommen, dass die Fahrt selbst als Teil der betrieblichen Organisation erscheint, dass ihre Durchführung durch die betriebliche Organisation geprägt ist. Nur in diesem Fall stellt sich das verwirklichte Risiko als zum Betrieb gehörig dar und hebt sich so von den normalen Risiken des allgemeinen Verkehrs ab (vgl. zum Vorstehenden insgesamt BGH VersR 1992, 122, 123; 2001, 335, 336; Ricke in Kasseler Kommentar zum Sozialversicherungsrecht, § 104 SGB VII Rdnr. 13; jeweils mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Gemessen an diesen Kriterien kann der vom Kläger am 15. März 2000 erlittene Verkehrsunfall entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht als innerbetrieblicher Vorgang gewertet werden. Er stellt vielmehr einen Wegeunfall im Sinne von § 8 Abs. 2 Nr. 1 SGB VII dar.
Der Kläger befand sich mit seinem Bruder am Steuer des Pkw Mercedes Benz auf der Fahrt von seinem Wohnort in Bremen zu einem Kunden in Bassum. Da der Kläger als ambulanter Schweißer tätig war, d. h. keine eigene Werkstatt besaß, sondern auf Anruf zu seinen Auftraggebern anreiste, befand er sich am Unfalltag auf dem Weg nach dem Ort seiner Tätigkeit im Sinne der genannten Vorschrift. Es hätte ihm auch frei gestanden, die Anfahrt beispielsweise unabhängig von seinem Bruder in einem anderen Pkw zu unternehmen. Denn wie er nach Bassum gelangte, war letztlich seine Privatsache. Der Kläger und sein Bruder haben bei der Unglücksfahrt schließlich nicht einmal ein zu dem Schweißereibetrieb des Klägers gehörendes Fahrzeug benutzt. Halter des Pkw Mercedes Benz war vielmehr ein Herr …, der das Fahrzeug an die Lebensgefährtin des Klägers verliehen hatte. Diese wiederum hatte es dem Kläger am Unfalltag überlassen. Aus alledem folgt, dass der Kläger hier mehr außerhalb betrieblicher Gegebenheiten unter Umständen geschädigt worden ist, die ihn ohne die betriebliche Tätigkeit als normalen Verkehrsteilnehmer genauso hätten treffen können. Da es sich bei dem Verkehrsunfall vom 15. März 2000 somit um einen...