Entscheidungsstichwort (Thema)
Haftungsverteilung der Schädiger eines Verkehrsunfalls im Innenverhältnis; Tätigkeit bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs
Leitsatz (amtlich)
Der Haftungsausschluss des § 8 Nr. 2 StVG gilt nicht in Bezug auf einen Beifahrer, der lediglich befördert wird und aussteigt; insoweit ist er nicht bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig (entgegen OLG München, Urteil vom 24. Juni 1966 - 10 U 866/66 -, juris).
Normenkette
StVG § 8 Nr. 2, § 17 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 20.03.2019; Aktenzeichen 17 O 52/15) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 20. März 2019 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 17. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪17 O 52/15≫ teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Klage ist dem Grunde nach gerechtfertigt.
Im Übrigen wird das angefochtene Urteil einschließlich des Verfahrens aufgehoben und die Sache für das Betragsverfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das Landgericht Hannover zurückverwiesen.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Den Parteien wird nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in
Höhe von 110 % des jeweils aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung
Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 339.678,08 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Ansprüche im Rahmen des Gesamtschuldnerinnenausgleichs nach einem Verkehrsunfall.
Am 06.05.2007 gegen 3:00 Uhr befuhr der Beklagte zu 1) mit dem bei der Beklagten zu 3) Kfz-haftpflichtversicherten Taxi, einem Pkw VW Passat, dessen Halter der Beklagte zu 2) war, die BAB ... Richtung H. Der Beklagte zu 1) beförderte die britischen Soldaten T., C. und H., die zu ihrer Kaserne in S.-F. zurückkehren wollten, nachdem sie in H. gefeiert hatten. Die Fahrgäste waren erheblich alkoholisiert, bei Herrn T. wurde später eine BAK von 1,79g o/oo festgestellt. Bei Kilometer ... stoppte der Beklagte zu 1) das Fahrzeug auf dem Seitenstreifen, weil sich der hinten links sitzende H. übergeben musste. Der Beifahrer T. stieg aus und begab sich zur linken hinteren Tür, die Herr H. zwischenzeitlich geöffnet hatte, um seinem Kameraden zu helfen. Auch die Fahrertür wurde geöffnet. Kurze Zeit später näherte sich auf dem rechten von drei Fahrspuren ein bei der Klägerin haftpflichtversicherter Sattelzug, der vom Zeugen W. gesteuert wurde. Er kollidierte mit den geöffneten Türen des Beklagtenfahrzeugs und erfasste Herrn T., der dabei schwer verletzt wurde und am 22.05.2007 infolge des Unfalls verstarb.
Einzelheiten zum Unfallhergang sind streitig.
Im Auftrag der Staatsanwaltschaft wurde im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens ein Gutachten des Sachverständigen Dipl.-Ing G. zum Unfallhergang eingeholt. Der Beklagte zu 1) wurde später wegen fahrlässiger Tötung verurteilt.
Die Klägerin regulierte in der Folge die Schäden des Verstorbenen, dessen Erben und des Vereinigten Königreichs unter Annahme einer Mithaftungsquote des Getöteten von 25 %. Die Regulierung ist abgeschlossen.
Eine außergerichtliche Einigung über die Haftungsverteilung im Innenverhältnis kam nicht zustande. Nunmehr macht die Klägerin gegenüber den Beklagten mit der vorliegenden Klage Regressansprüche geltend und begehrt Erstattung von 50 % ihrer behaupteten Aufwendungen.
Die Klägerin hat insbesondere unter Verweis auf den Inhalt des Gutachtens des Sachverständigen G. vorgetragen, der Beklagte zu 1) habe das Taxi mit einem Abstand zur rechten Seitenschutzplanke von etwa einem Meter angehalten, hätte jedoch mindestens 50 cm weiter rechts parken können, wodurch die Kollision vermieden worden wäre. Sie hat weiter geltend gemacht, an dem Taxi sei kein Warnblinklicht eingeschaltet gewesen; auch sei ein Warndreieck - dies ist unstreitig - nicht aufgestellt worden. Die vollständig geöffneten Türen hätten in die rechte Fahrbahn geragt. Der Getötete dürfte sich unmittelbar vor dem Unfall auf dem weißen Fahrbahnbegrenzungsstreifen befunden haben. Bei der Kollision habe der Sattelzug die durchgezogene Fahrbahnstreifenbegrenzung nach rechts hin nicht überfahren.
Die Klägerin hat die Ansicht vertreten, vor diesem Hintergrund stehe ihr der geltend gemachte Anspruch gegen die Beklagten aus §§ 7, 17, 18 StVG, 823 Abs. 1, 426 Abs. 1 BGB i. V. m. § 115 Abs. 1 VVG zu. Alle Beteiligten hätten sich nicht ideal verhalten, der Verkehrsunfall sei aber unter Berücksichtigung eines 25 %-igen Mitverschuldens des Getöteten zumindest hälftig - im Ergebnis also zu 37,5 % - mitverursacht worden durch das verkehrswidrige Verhalten des Beklagten zu 1). Dieser habe gegen §§ 18 Abs. 8, 12 Abs. 1 Nr. 1 und 15 StVO verstoßen. Er hätte auf dem Seitenstreifen nicht anhalten dürfen, weil kein Notfall vorgelegen habe; die - vorsorglich mit Nichtwissen bestrittene - Übelkeit des Herrn H. se...