Entscheidungsstichwort (Thema)
Honorarvereinbarung und EU-rechtswidriges HOAI-Preisrecht: keine Nachforderung auf Basis der Mindestsätze mehr!
Leitsatz (amtlich)
1. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig (EuGH, Urt v. 04.07.2019 - C-377/17). Wegen des Anwendungsvorbehaltes des Europarechts sind die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden.
2. Die Entscheidung des EuGH C-377/17 ist auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Die für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirkt sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll.
3. Honorarvereinbarungen sind nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HOAI ignorieren, sind daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig.
4. Nach Vereinbarung eines die (unionsrechtswidrigen) HOAI-Mindestsätze unterschreitenden Pauschalhonorars ist eine Nachforderung zur Schlussrechnung auf der Basis der Mindestsätze nicht zulässig.
5. Die Nachforderung kann im Einzelfall auch treuwidrig sein (hier bejaht).
Normenkette
BGB § 242; HOAI § 7
Verfahrensgang
LG Hildesheim (Aktenzeichen 4 O 288/17) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 9. November 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 4. Zivilkammer des LG Hildesheim ≪4 O 288/17 ≫ wird zurückgewiesen.
Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen, einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Streithelfer der Beklagten.
Das Urteil sowie das vorgenannte Urteil des LG Hildesheim sind vorläufig vollstreckbar. Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger aufgrund der Urteile vollstreckbaren Beträge abzuwenden, sofern diese nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 605.985,53 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin macht Honorarnachforderungen aus fünf Ingenieurverträgen aus den Jahren 2010 bis 2014 in Höhe von 605.985,53 EUR brutto geltend, die sie mit der Beklagten zu 1) zur Errichtung der Bioenergieanlage A. mit Nebenanlagen geschlossen hatte. Es gab darüber hinaus weitere Ingenieurverträge zwischen den Parteien. Die Beklagte zu 2) ist die Verwaltungsgesellschaft der Beklagten zu 1). Die Streitverkündeten waren im Hause der Klägerin verantwortlich für die Vertragsgestaltung und -abwicklung, nämlich der Streithelfer zu 1) als Geschäftsführer der Klägerin bis April 2015 und der Streithelfer zu 2) als Prokurist der Klägerin. Der Streithelfer zu 2) war zugleich seit 2010 Gesellschafter der Beklagten zu 2) und seit dem 6. März 2013 deren Geschäftsführer, wobei die Klägerin hiervon zunächst keine Kenntnis hatte. Die streitgegenständlichen Ingenieurverträge sind allesamt vollständig abgewickelt, einschließlich Schlussrechnungsstellung und -bezahlung in den Jahren 2011 bis 2015. In den Jahren 2016 und 2017 legte die Klägerin neue Schlussrechnungen mit der Begründung, sämtliche Verträge seien entgegen ihrem Wortlaut unter Mindestsatzunterschreitung der HOAI in der jeweils anwendbaren Fassung abgerechnet worden. Zur Erläuterung ihrer neuen Schlussrechnungen hat sich die Klägerin auf ein Honorargutachten des Herrn Dipl.-Ing. W. vom 24. November 2016 (Anlage K 1) bezogen.
Die Parteien haben in erster Instanz darüber gestritten, ob tatsächlich Mindestsatzunterschreitungen vorliegen. Hierzu haben die Beklagten die Leistungserbringung im abgerechneten Umfang und die Ordnungsgemäßheit und Richtigkeit des Privatgutachtens W. bestritten. Die neue Berechnung übersteige den vereinbarten Leistungsumfang; es läge teilweise eine unzulässige Doppeltberechnung vor. Sie enthalte eine künstliche Aufteilung in mehrere Objekte. Die Rechnungsparameter wie anrechenbare Kosten und Honorarzone seien zu bezweifeln. Die Klägerin unterstehe im Übrigen gar nicht dem Anwendungsbereich der HOAI. Des Weiteren haben sich die Beklagten auf den Standpunkt gestellt, die Klägerin sei an ihre ursprüngliche Schlussabrechnung gemäß § 242 BGB gebunden. Eine etwaige Mindestsatzunterschreitung sei für die Beklagten nicht erkennbar gewesen, auch deshalb nicht, weil die Klägerin innerhalb der vereinbarten Leistungsphasen nur mit reduzierten Prozentsätzen beauftragt gewesen sei. Das folge bereits daraus, dass die Generalunternehmer beauftragt gewesen seien, auch Planungs- und Objektüberwachungsleistungen zu erbringen. Die Klägerin habe nur Schnittstellenaufgaben innegehabt, soweit nicht die Generalunte...