Leitsatz (amtlich)
Zahlt der Auftraggeber den Werklohn, ohne die Bauabzugsteuer abzuführen, vollständig an den Auftragnehmer, obwohl der Auftragnehmer keine Freistellungsbescheinigung vorgelegt hat, und führt der Auftraggeber später die Bauabzugssteuer an das Finanzamt ab, ist der Auftragnehmer aufgrund einer aus dem Vertragsverhältnis resultierenden Nebenpflicht verpflichtet, dem Auftraggeber den an das Finanzamt abgeführten Betrag zu erstatten.
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 14 O 213/19) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 9. März 2022 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪14 O 213/19≫ teilweise abgeändert und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 212.289,53 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Februar 2020 zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits (erster und zweiter Instanz) hat die Beklagte zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf bis 212.289,53 Euro festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Teilrückzahlung von Werklohn im Zusammenhang mit dem Steuerabzug bei Bauleistungen (Bauabzugsteuer).
Die Parteien sind über mehrere Bauverträge miteinander verbunden, aufgrund derer die Beklagte im Jahr 2014 Bauleistungen für die Klägerin erbrachte. Die Klägerin zahlte den Werklohn vollständig an die Beklagte, ohne die Bauabzugsteuer nach § 48 Abs. 1 EStG abzuführen, obgleich die Beklagte keine Freistellungsbescheinigung gemäß § 48b EStG vorgelegt hatte. Die Klägerin hat behauptet, im Jahr 2017 die Bauabzugsteuer in Höhe von insgesamt 212.289,53 Euro zuzüglich Säumniszuschlägen an die Finanzämter D. und K. gezahlt zu haben. Bis Ende 2019 hätte die Beklagte unstreitig nach § 48c Abs. 2 EStG die Erstattung der Bauabzugsteuer beantragen können; dies ist indes nicht geschehen, wobei die Hintergründe streitig sind.
Die Klägerin hat behauptet, die Beklagte mit Schreiben vom 13.06.2018 (Anlage K 20), vom 14.06.2018 (Anlage K 22) und mit E-Mail vom 15.06.2018 (Anlage K 23) über die geleistete Bauabzugsteuer informiert zu haben. Die Beklagte hat den Erhalt der Schreiben in Abrede genommen und vorgetragen, die unstreitig an die E-Mail-Adresse der S. GmbH gerichtete E-Mail sei dem Geschäftsführer der Beklagten, der unstreitig auch Geschäftsführer der S. GmbH ist, von der Mitarbeiterin der GmbH nicht zugeleitet worden. Die Beklagte hat außerdem die Einrede der Verjährung erhoben und zu ihrer Verteidigung weiter geltend gemacht, es verstoße gegen Treu und Glauben, mit der im Jahr 2020 zugestellten Klage die Erstattung der Bauabzugsteuer zu verlangen, weil die Beklagte ihrerseits die Erstattung vom Finanzamt wegen Ablaufs der Frist Ende 2019 nicht mehr verlangen könne.
Mit am 09.03.2022 verkündeten Urteil, auf das gemäß § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen, des Vorbringens der Parteien im Einzelnen und der erstinstanzlichen Anträge Bezug genommen wird, hat das Landgericht nach Beweiserhebung durch Zeugenvernehmung und Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten als Partei die Klage abgewiesen. Zur Begründung führt das Landgericht insbesondere aus: Ein Anspruch auf Rückzahlung des Werklohns in Höhe der abgeführten Bauabzugsteuer sei entstanden und nicht verjährt, aber nicht durchsetzbar. Aufgrund der vorgelegten Kontoauszüge sei erwiesen, dass die Klägerin die Bauabzugsteuer für Rechnung der Beklagten an die Finanzämter abgeführt habe. Da die Klägerin unstreitig den Werklohn vollständig an die Beklagte gezahlt habe, stehe ihr ein vertraglicher Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung zu; das Landgericht verweist insofern auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 26.09.2013 - VII ZR 2/13. Der Anspruch sei nicht verjährt, weil der Erstattungsanspruch erst im Moment der tatsächlichen Abführung der Bauabzugsteuer entstehe, hier also im Jahr 2017. Allerdings sei der Anspruch der Klägerin wegen einer dauerhaften Einrede nach §§ 273, 242 BGB nicht durchsetzbar. Die Klägerin habe nicht nachgewiesen, dass sie ihrer aus § 48a Abs. 2 EStG resultierenden Verpflichtung, mit der Beklagten über den Steuerabzug abzurechnen, so rechtzeitig nachgekommen ist, dass die Beklagte den ihr nach § 48c Abs. 2 EStG zustehenden Erstattungsanspruch rechtzeitig geltend machen konnte. Die Klägerin habe nicht bewiesen, dass das Schreiben vom 13.06.2018 dem Geschäftsführer der Beklagten zugegangen sei; sie habe auch nicht bewiesen, dass sie den Geschäftsführer der Beklagten mit dem ...