Leitsatz (amtlich)

1. Ölfreie Trockenluftkompressoren, für die sich aus der Gebrauchsanweisung des Herstellers eine Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung ergibt, stellen Zubehör eines Medizinprodukts im Sinne des Art. 2 Nr. 2 MDR dar.

2. Händler müssen vor dem Bereitstellen eines Produkts auf dem Markt anhand seiner Gebrauchsanweisung prüfen, ob es sich um ein Medizinprodukt bzw. Zubehör zu einem solchen handelt.

3. Wenn es sich bei einem Produkt um ein Medizinprodukt bzw. Zubehör zu einem solchen handelt, müssen Händler vor dem Bereitstellen auf dem Markt prüfen, ob das Produkt eine entsprechende CE-Kennzeichnung trägt und eine EU-Konformitätserklärung nach der MDR ausgestellt wurde.

4. Händler brauchen vor dem Bereitstellen auf dem Markt regelmäßig nicht zu prüfen, ob die aus einer ausgestellten EU-Konformitätserklärung ersichtliche Risikoklassifizierung zutrifft.

5. Bei den Pflichten aus Art. 14 Abs. 2 Satz 1 lit. a, Satz 3 MDR handelt es sich um Marktverhaltensregelungen im Sinne des § 3a UWG.

 

Normenkette

BGB §§ 242, 249 Abs. 1; MPG §§ 2-3, 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S. 1; UWG § 3 Abs. 1, §§ 3a, 8 Abs. 1 S. 1, § 9 S. 1, § 13 Abs. 2-3; VO (EU) 2017/745 [MDR] Art. 2; VO (EU) 2017/745 [MDR] Art. 14 Abs. 1; VO (EU) 2017/745 [MDR] Art. 14 Abs. 2 S. 1 lit. a; VO (EU) 2017/745 [MDR] Art. 14 Abs. 2 S. 3

 

Verfahrensgang

LG Stade (Urteil vom 20.10.2021; Aktenzeichen 8 O 19/21)

 

Nachgehend

BGH (EuGH-Vorlage vom 21.12.2023; Aktenzeichen I ZR 17/23)

 

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil der 1. Kammer für Handelssachen des Landgerichts Stade vom 20. Oktober 2021 unter Zurückweisung der weitergehenden Berufung teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Die Beklagte wird verurteilt, es bei Meidung eines vom Gericht für jeden Fall der Zuwiderhandlung festzusetzenden Ordnungsgeldes von bis zu 250.000 EUR, ersatzweise Ordnungshaft, oder Ordnungshaft bis zu sechs Monaten, zu vollziehen an dem Geschäftsführer der Beklagten, zu unterlassen, ölfreie Trockenluftkompressoren mit der Zweckbestimmung zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, wie in der Anlage K 5 beschrieben, auf dem Markt bereitzustellen, wenn diese nicht als Medizinprodukte mit einem CE-Kennzeichen versehen sind.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche Schäden zu ersetzen, die dieser aus der unter Ziffer 1 genannten Handlung bisher entstanden sind und weiter entstehen werden.

3. Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin Auskunft darüber zu erteilen, in welchem Umfang die unter Ziffer 1 beschriebenen Handlungen bisher vorgenommen wurden, insbesondere unter Angabe der Anzahl der in den Verkehr gebrachten Produkte, der Namen und Anschriften der Adressaten sowie der dabei erzielten Umsatzerlöse.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.305,40 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 13. Januar 2021 zu zahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 2.241,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 7. April 2021 zu zahlen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des ölfreien Trockenluftkompressors des Herstellers C., V. N. ..., ... U., I., mit der Kompressor-Nr. ...0.

6. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 36 % und die Beklagte zu 64 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte darf die Vollstreckung des Unterlassungsanspruchs zu I. 1 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 50.000 EUR und die Vollstreckung des Auskunftsanspruchs zu I. 3 durch Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 EUR abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Beide Parteien dürfen die Vollstreckung im Übrigen jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 150.000 EUR festgesetzt.

V. Die Revision wird zugelassen.

 

Gründe

I. Die Beklagte ist die rechtlich selbständige deutsche Werksvertretung des italienischen Unternehmens C., das Hersteller von sog. ölfreien Trockenluftkompressoren zur Erzeugung von Druckluft ist. Die Beklagte vertreibt die Produkte in Deutschland.

Die Klägerin stellt Medizinprodukte für den Dentalbedarf, insbesondere auch Kompressoren zur Erzeugung von Druckluft für die zahnmedizinische Behandlung, her und vertreibt diese. Zwischen ihr und der für sie zuständigen deutschen Benannten Stelle war es hinsichtlich der Risikoklassifizierung eines ihrer Trockenluftkompressoren, den sie in die Risikoklasse I eingestuft hatte, zu Meinungsverschiedenheiten gekommen. Aus diesem Grund traf das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte [im Folgenden: BfArM] die Entscheidung, dass es sich bei dem Kompressor der Klägeri...

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