Normenkette
BGB § 844 Abs. 2; SGB XII § 95 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stade (Aktenzeichen 6 O 359/01) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 19.7.2002 verkündete Urteil des Einzelrichters der 6. Zivilkammer des LG Stade abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 109.545,73 Euro zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz auf 87.779,24 Euro seit dem 13.8.2001 sowie auf weitere 21.766,49 Euro seit dem 22.11.2001 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Wert der Beschwer und Streitwert für das Berufungsverfahren: 109.545,73 Euro.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt von der Beklagten Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen eines Verkehrsunfalles am 25.9.1998, bei dem die Mutter des am 28.7.1983 geborenen Jugendlichen M.F. ums Leben kam. Das LG, auf dessen Urteil zur näheren Sachdarstellung Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen, weil es an der adäquaten Kausalität zwischen dem Verkehrsunfall (für dessen Folgen die Beklagte unstreitig in voller Höhe zu haften hat) und dem eingetretenen Schaden, hier der Kosten für die Heimunterbringung des Jugendlichen, fehle. Wie das vom LG eingeholte Sachverständigengutachten ergebe, sei die Getötete nicht in der Lage gewesen, die Erziehungsaufgaben für ihren Sohn zu leisten.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin, die geltend macht, das LG habe den Begriff der adäquaten Kausalität verkannt. Durch den Unfalltod der Mutter sei die anderweitige Unterbringung des Jugendlichen erforderlich gewesen, die (aufgrund der schadensgeneigten Konstitution des Geschädigten) die kostenaufwendige Unterbringung in einem Heim habe angezeigt erscheinen lassen. Dass eine solche Heimunterbringung auch ohne den Tod der Mutter erforderlich geworden wäre, sei – insb. angesichts des Sachverständigengutachtens – hingegen nicht feststellbar.
Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil.
II. Die Berufung erweist sich im nunmehr noch gestellten Umfang (wegen eines angesichts der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit des Geschädigten offenbar gegenstandslosen Feststellungsantrags hat die Klägerin sie zurückgenommen) als begründet. Die Beklagte schuldet der Klägerin die geltend gemachten und der Höhe nach nicht streitigen Kosten der Heimunterbringung des damals Jugendlichen M.F. aus § 844 Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 1 SGB XIII.
Entgegen der Auffassung des LG fehlt es nicht an der sog. adäquaten Kausalität zwischen dem Unfallereignis und dem von der Klägerin geltend gemachten Schaden. Vor dem Unfalltod seiner Mutter ist der als „Dritter” i.S.d. § 844 Abs. 2 BGB anzusehende Jugendliche M.F. durch diese unterhalten und ernährt worden. Er hat (zumindest überwiegend) im Haushalt seiner ihm zu Unterhalt verpflichteten Mutter gelebt. Mit deren Tod stand er ohne diesen Unterhalt da und bedurfte entsprechender Fürsorge, die ihm die Klägerin in derjenigen Form angedeihen ließ, deren Kosten sie nunmehr von der Beklagten erstattet verlangt. Ein Verstoß gegen ihre Schadensminderungspflicht (§ 254 BGB) ist ihr, auch angesichts der vergleichsweise hohen Kosten der Unterbringung in einer Wohngemeinschaft der Evangelischen Jugendhilfe, nicht anzulasten. Dies ergibt sich aus dem vom LG eingeholten Gutachten des Sachverständigen Dr. T., wonach insb. die kostengünstigere Unterbringung in einer Pflegefamilie nicht ausreichend gewesen wäre.
Entgegen der Auffassung der Beklagten fehlt es auch nicht etwa an einem erstattungsfähigen Schaden deswegen, weil die Mutter des Geschädigten zu einer sachgerechten Erziehung offensichtlich nicht in der Lage gewesen ist (auf diese Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Erziehung hat auch das LG inhaltlich abgestellt). Zwar ist das Kriterium der Leistungsfähigkeit des getöteten Unterhaltsverpflichteten im Rahmen der Anwendung des § 844 Abs. 2 BGB zu berücksichtigen (und vom Unterhaltsberechtigten zu beweisen). Eine fehlende Leistungsfähigkeit der getöteten Mutter ist im vorliegenden Fall jedoch, anders als in dem von der Beklagten zitierten, der Entscheidung des OLG Köln v. 26.2.1996 (NJWE-VHR 1996, 152) zugrunde liegenden, nicht anzunehmen. Maßgeblich ist nämlich allein die Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Erbringung von Unterhalt, hier offensichtlich in Form von Naturalunterhalt, nicht jedoch die Leistungsfähigkeit hinsichtlich einer förderlichen Erziehung. Zur schlichten Unterhaltsleistung ist die Mutter des Geschädigten ersichtlich bis zu ihrem Tode in der Lage gewesen. Dass offensichtlich eine unzureichende Erziehung die soziale Entwicklung des Geschädigten stark beeinträchtigt hat, ist aus dem Gutachten des Sachverständigen Dr. T. ohne weiteres herauszulesen, jedoch für die Frage der Leistungsfähigkeit hi...