Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 2 O 230/16) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 2. März 2020 verkündete Grundurteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens haben die Beklagten zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die durch ihre Eltern vertretene minderjährige Klägerin macht gegen die Beklagten Schmerzensgeld- und Schadensersatzansprüche wegen behaupteter geburtshilflicher Behandlungsfehler im Zusammenhang mit ihrer Geburt am xx.xx.xxxx im Hause der Beklagten zu 1 geltend.
Hinsichtlich der erstinstanzlichen tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Grundurteil des Landgerichts Hannover vom 02.03.2020 (Bl. 287 ff. d. A.), § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO.
Das Landgericht hat nach Einholung schriftlicher Gutachten und mündlicher Anhörung des geburtshilflichen Sachverständigen Prof. Dr. S. und des neonatologischen Sachverständigen Prof. Dr. A. sowie informatorischer Anhörung der Mutter der Klägerin und der Beklagten zu 2 die Klage gegen die Beklagten zu 1 und 2, die hiesigen Berufungsklägerinnen, durch Grundurteil dem Grunde nach für gerechtfertigt erklärt. Gegen die erstinstanzlich wegen behaupteter ärztlicher Behandlungsfehler im Anschluss an die Reanimation der Klägerin am Tag ihrer Geburt verklagten weiteren Beklagten hat es die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat das Landgericht, soweit im Berufungsverfahren von Interesse, ausgeführt, dass die Mutter der Klägerin (im Folgenden auch als Kindsmutter bezeichnet) im Hause der Beklagten zu 1 fehlerhaft versorgt worden sei, indem ihr weniger als zwei Stunden nach der Geburt ihres Kindes nicht die Möglichkeit gegeben worden sei, vom Bett aus mit einer Klingel ärztliche oder pflegerische Hilfe herbeizurufen. Zur Standardversorgung einer Mutter und des Kindes nach der Geburt durch eine Hebamme zähle es wegen der Komplikationsdichte nach dem Geburtsvorgang und der mit dieser regelmäßig einhergehenden Schwächung, dass die Mutter rasch, ohne körperliche Anstrengungen entfalten zu müssen, Hilfe herbeirufen könne. Der Gerichtssachverständige Prof. Dr. S. habe angegeben, dass eine offene bzw. angelehnte Tür eines Kreißsaalzimmers keinen bzw. nur in Ausnahmefällen einen Ersatz für eine fehlende Klingelvorrichtung darstelle. Es sei schlicht nicht vertretbar, wenn eine Klingel fehle oder sich außer Reichweite befinde. Es sei zwingend, dass eine junge Mutter die unbeeinträchtigte Möglichkeit habe, sich bemerkbar zu machen. Soweit der Gerichtssachverständige Prof. Dr. A. zunächst ausgeführt hätte, dass die geschilderten Abläufe und Vorgehensweise typisch und standardgemäß seien, habe er sich von diesen Angaben in der mündlichen Erläuterung nachvollziehbar distanziert. Das Versäumnis sei der Beklagten zu 2 anzulasten, weil die Organisation in diesem Bereich in die Zuständigkeit der Hebamme falle. Die Einschätzung des Sachverständigen Prof. Dr. S. stehe im Einklang mit den Äußerungen sämtlicher vorgerichtlich befasster Privatgutachter. Dass er auf entsprechende Nachfrage des von den Beklagten eingebundenen Privatsachverständigen Prof. Dr. von K. eingeräumt habe, dass seine Einschätzung zur Erforderlichkeit einer Bettklingel nicht auf gezielten Forschungen beruhe und ihm keine entsprechenden Studien bekannt seien, begründe keine Zweifel an der Zuverlässigkeit des Gerichtssachverständigen und der Richtigkeit seiner Darlegungen zur Erforderlichkeit der Klingel. Der Sachverständige habe nachvollziehbar darauf hingewiesen, dass es auch in anderen medizinischen Bereichen ohne Forschungsgrundlage eine allgemeine Einschätzung zu richtig oder falsch gebe. Der Behandlungsfehler sei auch kausal für den von der Klägerin erlittenen schwerwiegenden Gesundheitsschaden. Die fehlende Klingel habe dazu geführt, dass die Kindsmutter nicht bereits beim ersten Anzeichen eines pathologischen Zustands der Klägerin die Beklagte zu 2 alarmiert habe. Die Behauptung der Beklagten, die Kindsmutter habe den Übergang vom kindlichen Schlaf zu einem pathologischen Zustand nicht wahrgenommen, sei widerlegt. Die Kindsmutter habe im Rahmen ihrer informatorischen Anhörung überzeugend dargetan, bemerkt zu haben, dass die Klägerin ungewöhnlich ruhig gewesen sei und glaubhaft geschildert, dass sie bereits zu diesem Zeitpunkt nach einer Hebamme gerufen hätte, wenn eine Klingel verfügbar gewesen wäre. Die fehlende Alarmmöglichkeit sei für den Eintritt des Primärschadens kausal geworden. Dafür streite die tatsächliche Vermutung des § 630 h Abs. 5 BGB. Die Kammer würdige den Behandlungsfehler auf der Grundlage ihrer sachverständigen Beratung als grob. Zu den gesicherten medizinischen Erkenntnissen, deren...