Leitsatz (amtlich)
1. Die medizinische Dokumentationspflicht erfordert nicht, Routinemaßnahmen und jeden einzelnen therapeutischen oder diagnostischen Schritt festzuhalten, insbesondere dann nicht, wenn es sich um einen technisch notwendigen und aus ärztlicher Sicht selbstverständlichen Bestandteil einer bestimmten klinischen Methode handelt. Ebenso wenig sind Negativbefunde zu dokumentieren, es sei denn, es besteht hierfür ausnahmsweise ein konkreter Anlass, etwa, wenn ärztlicherseits von vornherein ein bestehender Verdacht auszuräumen war.
2. Umstände und Tatsachen, deren Aufzeichnung und Aufbewahrung für die weitere Behandlung des Patienten rein medizinisch nicht erforderlich sind, sind auch aus Rechtsgründen nicht zu dokumentieren, so dass aus dem Unterbleiben derartiger Aufzeichnungen keine beweisrechtlichen Folgerungen gezogen werden dürfen (Anschluss an BGH, Urteil vom 6. Juli 1999 - VI ZR 290/98, Rn. 13, juris).
3. Eine Unterlassung, hier der zeitgerechten Benachrichtigung des Facharztes, ist nur dann für den Schaden kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Eintritt des Schadens verhindert hätte (Anschluss an BGH, Urteil vom 07.02.2012 - VI ZR 63/11, Rn. 10, juris).
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1, §§ 611, 823 Abs. 1-2; HebBO § 5 Abs. 1; StGB § 229
Verfahrensgang
LG Rostock (Urteil vom 27.11.2013; Aktenzeichen 10 O 395/10) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Landgerichts Rostock vom 27.11.2013, Az. 10 O 395/10, wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Rostock ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagten vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis zu 185.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld aufgrund eines erlittenen Geburtsschadens.
Er wurde am 23.10.2005 mit schwerster peripartaler Asphyxie im Klinikum A., einem Eigenbetrieb der Beklagten zu 1), in der 41. + 5. Schwangerschaftswoche geboren. Die Beklagte zu 2) war an dem Geburtsvorgang als diensthabende Ärztin (nicht Fachärztin), die Beklagte zu 3) als Hebamme beteiligt.
Wegen Überschreitung des Geburtstermins erhielt die Mutter am 21.10.2005 um 16:20 Uhr bei unreifer Cervix 100 μg Cytotec oral zur Geburtseinleitung. Am 22.10.2005 um 10:55 Uhr erfolgte eine weitere Gabe von 100 μg oral.
Am 23.10.2005 erfolgte gegen 01:00 Uhr bei regelmäßigen Wehen und praller Fruchtblase die Verlegung in den Kreißsaal. Die CTG-Werte waren im Wesentlichen bis mindestens 04:40 Uhr unauffällig, im Anschluss, wobei die genauen Zeitpunkte streitig sind, brach die Registrierung der kindlichen Herztöne ab. Es erfolgte die zweimalige Gabe von Partusisten und wenigstens ein Lagerungswechsel. Um 4:45 Uhr rief die Beklagte zu 3) die Beklagte zu 2) als diensthabende Ärztin hinzu. Nachdem für eine Zeit von ca. 2 Minuten nochmals Herztöne mit ca. 70 - 80 Schlägen pro Minute abgeleitet werden konnten, ließen sich in der Folge keine durchgängig verwertbaren Herztöne mehr erfassen. Sodann erfolgte die Anlage einer Skalpelektrode am kindlichen Kopf zur inneren Ableitung der Herzfrequenz. Über diese wurde das Vorliegen einer schweren fetalen Bradykardie bestätigt, weswegen die Fachärztin verständigt wurde, welche die Notsectio anordnete.
Um 05:06 Uhr wurde der Kläger mit einem Gewicht von 3.665 g ohne Spontanatmung bei Herzstillstand geboren. Er konnte reanimiert werden, erlitt aber noch im Kreißsaal einen tonisch-klonischen Krampfanfall.
Im Rahmen der Notsectio wurde festgestellt, dass bei der Mutter eine komplette Uterusruptur mit Lokalisation der Ruptur am Uterusseitenrand aufgetreten war und das Kind in der freien Bauchhöhle gelegen hatte.
Der Kläger hat behauptet, ab 04:40 Uhr sei es zu einem Abbruch der Wehentätigkeit und der normalen Herztonaufzeichnung gekommen. Bereits zu diesem Zeitpunkt habe die Notsectio eingeleitet, jedenfalls die Fachärztin hinzugerufen werden müssen. Die Uterusruptur sei zu diesem Zeitpunkt eingetreten und habe als Grund für die Änderung im CTG, insbesondere auch weil die Mutter des Klägers untypisch schwere Schmerzen mitgeteilt habe, in Erwägung gezogen werden müssen. Gleichwohl sei die Erhebung notwendiger Befunde zum Zwecke der Abklärung des Rupturverdachts unterlassen worden, ebenso wie zur Abklärung des kindlichen Zustandes, etwa durch eine Mikroblutuntersuchung (nachfolgend: MBU). Letztere hätte bei ihrer Durchführung einen pathologischen kindlichen pH-Wert mit der Indikation zur Notsectio ergeben. Zudem seien neben dem CTG aufgrund der erfolgten Geburtseinleitung mit Cytotec weitere Überwachungsmaßnahmen...