Leitsatz (amtlich)
1. Beim Abschluss eines (Folge)Vertrages bei einer Wohngebäudeversicherung trifft den Versicherer nach Treu und Glauben die Verpflichtung, den Versicherungsnehmer auf die Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Versicherungswertes auf der Basis des Neuwertes 1914 sowie die Gefahren einer falschen Festsetzung (Unterversicherung) hinzuweisen. Dieser Verpflichtung kann der Versicherer u.a. dadurch genügen, dass er dem Versicherungsnehmer empfiehlt, zur Bestimmung des Versicherungswertes einen Sachverständigen hinzuzuziehen, oder er ihm seine eigene sachkundige Beratung anbietet.
2. Dieser Verpflichtung genügt ein Versicherer nicht, wenn er bei Abschluss eines Folgevertrages einen vom Versicherungsnehmer genannten Wert des Hauses ungeprüft in den Versicherungsvertrag übernimmt, obwohl der Versicherungsnehmer ausdrücklich erklärt hat, er wünsche eine „100 %-ige Absicherung”, und ohne nachzufragen, ob sich seit Abschluss des Ursprungsvertrages wertsteigernde Veränderungen an dem Objekt ergeben haben, sowie einen Hinweis auf eine sachverständige Beratung zur Vermeidung einer drohenden Unterversicherung unterlässt.
3. In einem solchen Fall fällt dem Versicherungsnehmer kein Mitverschulden gem. § 254 BGB zur Last.
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 19.11.2002; Aktenzeichen 7 O 169/02) |
Tenor
Die Berufung der Beklagten gegen das am 19.11.2002 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des LG Verden wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Leistungen aus einer Wohngebäudeversicherung nach einem Brandschaden in Anspruch.
Im Jahre 1985 errichtete der Kläger das von ihm bewohnte Wohnhaus … in … Ausweislich des Versicherungsscheins vom 10.10.1985 versicherte er es bei der Beklagten u.a. gegen Feuer zum gleitenden Neuwert unter Zugrundelegung einer Versicherungssumme von 16.000 Mark 1914 (Bl. 46 d.A.). Nach endgültiger Fertigstellung des Hauses wurde mit Vertrag vom 6.2.1986 die Versicherungssumme zum gleitenden Neuwert auf „18.800 Mark 1914 errechnet mit dem Bauindex 1400 aus der für 1986 angegebenen Summe von 263.000 DM” angepasst (Bl. 45 d.A.). Die Versicherung lief zum 12.1.1996 aus, wobei die Vertragsdauer sich stillschweigend um jeweils ein Jahr verlängert, wenn die schriftliche Kündigungserklärung nicht spätestens drei Monate vor Ablauf dem anderen Vertragspartner zugegangen ist (Bl. 45 R d.A.).
Im Jahr 1995 suchte der für die Beklagte tätige Zeuge … den Kläger wegen einer Aktualisierung des Vertrages auf und nahm am 15.12.1995 einen Versicherungsantrag auf, der eine Wohngebäudeversicherung zum gleitenden Neuwert ohne Unterversicherungsverzicht vorsieht (Bl. 35 f. d.A.). Bei der Angabe der Versicherungssumme setzte der Zeuge … die Versicherungssumme in M 1914 mit 18.800 und die Versicherungssumme in DM (Vers. zum Neuwert/Zeitwert) mit 375.000 DM ein. Ferner ergänzte er die Rubrik „Die Versicherungssumme in M 1914 wurde ermittelt” durch den handschriftlichen Zusatz „Angaben VN”.
Dem Vertrag liegen u.a. die Allgemeinen WohngebäudeVersicherungsbedingungen (VGB 88) als Teil der Versicherungsbedingungen WG 94 zugrunde (Bl. 61–78 d.A.), die in § 16 zu „Unterversicherung; Unterversicherungsverzicht” u.a. bestimmen (Bl. 64 f. d.A.):
„1. Ist die Versicherungssumme niedriger als der Versicherungswert unmittelbar vor Eintritt des Versicherungsfalles (Unterversicherung), so wird nur der Teil des nach § 15 Nr. 1 bis 3 ermittelten Betrages ersetzt, der sich zu dem ganzen Betrag verhält wie die Versicherungssumme zu dem Versicherungswert.
2 ….
3. In der Gleitenden Neuwertversicherung gilt die Versicherungssumme 1914 als richtig ermittelt, wenn
a) sie aufgrund einer vom Versicherer anerkannten Schätzung eines Bausachverständigen festgesetzt wird;
b) der Versicherungsnehmer im Antrag den Neuwert in Preisen eines anderen Jahres zutreffend angibt und der Versicherer diesen Betrag auf seine Verantwortung umrechnet;
c) der Versicherungsnehmer Antragsfragen nach Größe, Ausbau und Ausstattung des Gebäudes zutreffend beantwortet und der Versicherer hiernach die Versicherungssumme 1914 auf seine Verantwortung berechnet.
4. Wird die nach Nr. 3 ermittelte Versicherungssumme 1914 vereinbart, nimmt der Versicherer abweichend von Nr. 1 und Nr. 2 sowie von § 56 VVG keinen Abzug wegen Unterversicherung vor (Unterversicherungsverzicht).”
Am 14.6.2001 wurde das Wohnhaus durch ein Feuer stark beschädigt. Der Schaden beträgt ausweislich der Feststellungen des von der Beklagten eingeschalteten Gutachters … 399.693 DM (Bl. 9 d.A.). Die Beklagte leistete Abschlagszahlungen von insgesamt 292.948 DM (Bl. 3, 13, 32 d.A.). Die Zahlung der Restsumme von 116.7...