Entscheidungsstichwort (Thema)
Auslegung und Risikoverteilung bei erkennbar fehlerhafter Ausschreibung; Umfang der Bindung des Berufungsgerichts im Falle einer aufhebenden und zurückverweisenden Entscheidung des Revisionsgerichts
Leitsatz (amtlich)
1. Bei der Auslegung der Baubeschreibung und der Prüfung der Frage, ob eine mangelhafte Ausschreibung vorliegt, sind in erster Linie der Wortlaut, sodann die besonderen Umstände des Einzelfalles, die Verkehrssitte und die Grundsätze von Treu und Glauben heranzuziehen. Die Auslegung hat dabei gemäß §§ 133, 157 BGB nach dem objektiven Empfängerhorizont der potentiellen Bieter oder Auftragnehmer zu erfolgen.
2. Eine Pflicht des Bieters im Ausschreibungs- und Angebotsstadium, auf im Leistungsverzeichnis enthaltene Fehler hinzuweisen, besteht grundsätzlich nicht. Allerdings folgt aus dem Grundsatz des Gebots zu korrektem Verhalten bei Vertragsverhandlungen dann eine Prüfungs- und Hinweispflicht des Auftragnehmers, wenn die Verdingungsunterlagen offensichtlich falsch sind (OLG Celle, Urteil vom 31. Januar 2017 - 14 U 200/15 -, juris).
3. Trotz der Pflicht des Auftraggebers aus § 7 Abs. 1 Nr. 1 VOB/A, die Leistung eindeutig und erschöpfend zu beschreiben, darf der Auftragnehmer also ein erkennbar (oder erkanntes) lücken- oder fehlerhaftes Leistungsverzeichnis nicht einfach hinnehmen; er muss sich daraus ergebende Zweifelsfragen vor Abgabe seines Angebots klären und sich insbesondere ausreichende Erkenntnisse über die vorgesehene Bauweise (Art und Umfang) verschaffen.
4. Unterlässt der Auftragnehmer in einem solchen Fall den gebotenen Hinweis und legt seiner Kalkulation gewissermaßen "ins Blaue" oder sogar "spekulativ" die für ihn günstigste Leistung zugrunde, um so ein entsprechend attraktives Angebot abzugeben, ist er nicht im Sinne eines enttäuschten Vertrauens schutzwürdig und nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert, Zusatzforderungen zu stellen (OLG Celle, Urteil vom 31. Januar 2017 - 14 U 200/15 -, juris).
5. Im Falle einer fehlerhaften Ausschreibung ist auch ein treuwidriges Verhalten des Auftraggebers in Betracht zu ziehen (hier verneint).
6. Das Berufungsgericht ist im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung durch das Revisionsgericht an dessen Rechtsansicht nur insoweit gebunden, als sie der Aufhebung zugrunde liegt. Das Berufungsgericht ist auch an seine früheren Rechtsansichten nicht gebunden. Im Falle der Aufhebung und Zurückverweisung wegen eines Gehörsverstoßes im Zusammenhang mit Behauptungen einer Partei zu den einer Baubeschreibung zugrundeliegenden tatsächlichen Verhältnissen (hier: Abweichung der tatsächlichen von den ausgeschriebenen Bodenverhältnissen) ist das Berufungsgericht daher nicht gehindert, eine von seiner früheren Auffassung abweichende Auslegung der Baubeschreibung vorzunehmen, das Leistungsverzeichnis als erkennbar fehlerhaft zu bewerten und anzunehmen, dass der Auftragnehmer deshalb nach dem Grundsatz von Treu und Glauben gehindert ist, Zusatzforderungen zu stellen.
Normenkette
BGB §§ 133, 157, 242; ZPO § 563
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 6 O 271/12) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 19. November 2013 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 6. Zivilkammer des Landgerichts Hannover - 6 O 271/12 - wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens und des Nichtzulassungsbeschwerde-verfahrens, Az. VII ZR 299/14, hat die Klägerin zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I. Die Klägerin wurde von der Beklagten nach Durchführung eines Vergabeverfahrens mit den Arbeiten für den Neubau der Bundesstraße B ... westlich/nördlich der Gemeinde N. W. beauftragt. In diesem Zusammenhang waren u. a. gemäß Ziffer 00.05.0016 des Leistungsverzeichnisses Boden bzw. Fels aus dem Abtragbereich zu lösen und zu entsorgen. Mit der Klage macht die Klägerin Mehrkosten aus einem Nachtrag geltend, die nach ihrer Auffassung dadurch entstanden sind, dass bei Ausführung der Arbeiten teilweise eine Bodenqualität vorgefunden worden sei, die nicht der Klassifizierung in den Vergabeunterlagen entsprochen habe und nicht vertraglich vereinbart gewesen sei.
Grundlage des von der Klägerin erstellten Angebots vom 14.10.2009 (Anlage K 2 - Anlagenordner Klägerin) war die von der Beklagten gefertigte Leistungsbeschreibung, deren Bestandteil die Bezeichnung der Bauleistung in der Baubeschreibung war (vgl. Anlage K 3a - Anlagenordner Klägerin). Dort heißt es zur Bodenbeschaffenheit bzw. den geologischen Verhältnissen u. a.:
"1.1.1.3 Untergrund
Für den Streckenbau der B ... liegt ein Ingenieurgeologisches Streckengutachten vor, das der Ausschreibung in digitaler Form beiliegt.
(...)
2.7 Baugrundverhältnisse
(...)
2.7.4 Schadstoffbel...