Entscheidungsstichwort (Thema)
Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers im Rahmen des "Diesel-Abgasskandals"
Leitsatz (amtlich)
1. Das Inverkehrbringen eines Kraftfahrzeuges mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung bei der Abgasreduktion (Prüfstanderkennungssoftware) stellt eine sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB dar.
2. Der dem Käufer zu ersetzende Vermögensschaden liegt in dem Abschluss des Kaufvertrages für das Fahrzeug.
3. Bei der Rückabwicklung des Vertrages muss sich der Käufer die Nutzungsvorteile anrechnen lassen.
Normenkette
BGB §§ 31, 826
Verfahrensgang
LG Bückeburg (Urteil vom 29.06.2018; Aktenzeichen 2 O 83/18) |
Tenor
1. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des Landgerichts Bückeburg vom 29.06.2018 teilweise geändert.
a) Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 22.979,17 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 04.07.2017 zu zahlen, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des PKW VW Caddy Highline 2.0 TDI FIN ....
b) Es wird festgestellt, dass die Beklagtenpartei verpflichtet ist, der Klagepartei Schadensersatz zu leisten für weitere Schäden, die daraus resultieren, dass die Beklagtenpartei in den Motor, Typ EA189 des Fahrzeugs eine unzulässige Abschalteinrichtung in der Form einer Software eingebaut hat, welche bei Erkennung standardisierter Prüfstandsituationen (NEFZ) die Abgasaufbereitung so optimiert, dass möglichst wenige Stickoxide (NOx) entstehen und Stickstoffemissionswerte reduziert werden, und die im Normalbetrieb Teile der Abgaskontrollanlage außer Betrieb setzt, sodass es zu einem höheren NOx-Ausstoß führt.
c) Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger von den durch die Beauftragung der Prozessbevollmächtigten des Klägers entstandenen vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.462,84 EUR freizustellen.
d) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen.
3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens trägt der Kläger. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 45 % und die Beklagte 65 %.
4. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Jede Partei kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Gegner vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
5. Die Revision wird zugelassen.
Gründe
I. Der Kläger begehrt die Feststellung, dass die beklagte Herstellerin des von ihm erworbenen Fahrzeugs im Rahmen des "Dieselabgasskandals" schadensersatzpflichtig sei, hilfsweise die Erstattung des Kaufpreises gegen Rückgabe des Wagens.
Der in ... S. wohnhafte Kläger erwarb bei der dortigen Autohaus S. GmbH & Co. KG ein Neufahrzeug VW Caddy Highline 2.0 TDI für 34.700 EUR (Bl. I, 35 d. A.). Dieses Fahrzeug ist mit dem Dieselmotor EA 189 ausgestattet, welcher in Deutschland den sog. "Dieselabgasskandal" ausgelöst hat. Die deshalb geforderte Zahlung eines Ausgleichsbetrags lehnte die Beklagte vorprozessual ab.
Der Kläger hat behauptet, dass er das Fahrzeug in Kenntnis der Abgasproblematik nicht erworben hätte. Das Software-Update sei nicht in der Lage, die Nachteile dieses Fahrzeugs folgenlos auszugleichen (vgl. i. E.: Bl. I, 9 ff. d. A.). Der Wagen sei, wenn überhaupt, nur mit einem erheblichen Abschlag vom üblichen Gebrauchtwagenwert verkäuflich. Aus diesem Grunde begehre er "vorwiegend" die Rückabwicklung des Kaufvertrages, ohne sich wegen der Rechtsfolgen abschließend festlegen zu können. Vor diesem Hintergrund sowie wegen der noch nicht abgeschlossenen Schadensentwicklung sei sein Feststellungsbegehren prozessual zulässig.
Die Beklagte hat das Vorliegen eines Sachmangels sowie die objektiven und subjektiven Voraussetzungen deliktischen Handelns bestritten.
Das Landgericht, auf dessen Urteil insoweit Bezug genommen wird, hat die Klage abgewiesen (Bd. II, Bl. 161 ff. d. A.). Zunächst fehle es schon an der Zulässigkeit des Feststellungsantrags. Ein Feststellungsinteresse des Klägers sei nicht gegeben. Darüber hinaus sei der Feststellungsantrag auch unbegründet. Insbesondere sei eine aktive Täuschungshandlung der Beklagten nicht dargetan.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seine erstinstanzlichen Ansprüche weiterverfolgt, hilfsweise die Kaufpreiserstattung nebst Feststellung der Schadensersatzpflicht hinsichtlich zukünftig noch entstehender Schäden begehrt. Das Feststellungsbegehren sei schon deshalb zulässig, weil im Hinblick auf nachteilige Nebenfolgen des Updates, wenn dieses aufgespielt würde, mit zukünftigen Schäden zu rechnen sei, die derzeit noch ungewiss seien. Das Klagebegehren sei auch in der Sache begründet, weil entgegen der Auffassung des Landgerichts deliktische Ansprüche, vor allem aus §§ 826, 31 BGB und aus §§ 823 Abs. 2 BGB, § 263 StGB, gegen die Beklagte bestünden.
Der Kläger beantragt,
Das Urteil des LG Bückeburg vom 29.06.2018, AZ. 2 O 83/18 wird wie nachfolge...