Entscheidungsstichwort (Thema)
Widerruf eines auf den Kauf umfangreicher Nachschlagewerke gerichteten Teilzahlungsgeschäftes
Leitsatz (amtlich)
Die Gesetzlichkeitsfiktion nach § 14 Abs. 1, 3 BGB-InfoV greift nur, wenn das verwandte Formular dem Muster der Anlage 2 zur BGB-InfoV sowohl inhaltlich als auch in der äußeren Gestaltung vollständig entspricht. U. a. das Weglassen von Überschriften oder der vorgesehenen Schlusszeile steht der Gesetzlichkeitsfiktion entgegen (Bestätigung u.a. von BGH, Urteil vom. 1.12.2010 - VIII ZR 82/10).
Ist eine postalische Erreichbarkeit unter der in einer Widerrufsbelehrung angegebenen Anschrift zweifelsfrei gewährleistet, genügt dies ausnahmsweise den Anforderungen einer ladungsfähigen Anschrift u.a. i.S.d. § 14 Abs. 4 BGB-InfoV a.F. auch dann, wenn die Hausnummer nicht angegeben oder die angegebene Postleitzahl (teilweise) fehlerhaft ist.
Eine Belehrung über die Rechtsfolgen eines Widerrufs ist entgegen § 312abs. 2 BGB a.F. nach § 312a BGB a.F. nicht erforderlich, wenn der Vertrag zwar in einer Haustürsituation zustande gekommen ist, gleichzeitig aber ein Widerrufsrecht nach Maßgabe anderer Vorschriften besteht, nach denen eine solche Belehrung nicht erforderlich ist.
Ein Widerrufsrecht ist nicht allein deshalb verwirkt, weil seit dem Vertragsschluss längere Zeit verstrichen und der Vertrag beiderseitig vollständig erfüllt ist. Hinzutreten muss vielmehr, dass sich der Widerrufsgegner im Vertrauen auf das Ausbleiben des Widerrufs so eingerichtet hat, dass ihm durch den späten Widerruf auch unter Berücksichtigung des vom Gesetz bezweckten Verbraucherschutzes unzumutbare Nachteile entstünden.
Zur Bewertung der Nutzung umfangreicher Lexikotheken und anderer Nachschlagewerke.
Vorteile aufgrund einer Teilzahlungsmöglichkeit begründen bei Widerruf von Teilzahlungsgeschäften keinen Anspruch auf Ersatz des Wertes von Nutzungen.
Normenkette
BGB a.F. §§ 312a, 312 Abs. 2; BGB § 346 Abs. 1-2, § 355 Abs. 2, § 357 Abs. 1 S. 1, § 495 Abs. 1, § 501 S. 1; BGB-InfoV § 14 Abs. 1 Fassung: 2004-12-07, Abs. 3 Fassung: 2004-12-07, Abs. 4
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 07.02.2014; Aktenzeichen 3 O 280/13) |
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das angefochtene Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des LG Lüneburg vom 7.2.2014 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1 einen Betrag i.H.v. 5.068 EUR Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung der mit Vertrag vom 14.7.2003 erworbenen "C.", des "W." sowie der "L." sowie gegen Zahlung eines Betrages i.H.v. 907,60 EUR zu zahlen.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Auf die Widerklage wird der Kläger zu 1 verurteilt, 1.901,50 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 17.10.2013 an die Beklagte zu zahlen.
Die weiter gehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz tragen der Kläger zu 1 zu 72 %, die Klägerin zu 2 zu 7 % und die Beklagte zu 21 %. Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger zu 1 zu 49 %, die Klägerin zu 2 zu 12 % und die Beklagte zu 39 %.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können eine Vollstreckung durch Leistung einer Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 10.585 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Parteien streiten über die Rückabwicklung von Kaufverträgen über Bücher und andere Wissensmedien. Die Beklagte verkaufte im Direktvertrieb Lexika und andere Nachschlagewerke. Der Kläger zu 1, in einem Fall auch beide Kläger gemeinsam, bestellten bei ihr nach Hausbesuchen in sechs Fällen im Zeitraum von 1998 bis Juli 2011 u.a. gedruckte Nachschlagewerke und Nachschlagewerke auf Datenträgern zu Teilzahlungspreisen von - soweit noch streitgegenständlich - 5.068 EUR (Vertrag vom 14.7.2003), 2.608 EUR (Vertrag vom 17.11.2006) und 2.765 EUR (Vertrag vom 7.4.2010), zahlbar in Raten. Der erstgenannte noch streitgegenständliche Vertrag ist beidseits vollständig erfüllt. Bei den letztgenannten beiden noch streitgegenständlichen Verträgen stehen noch Restzahlungen aus. Die Beklagte hat die in diesen Verträgen getroffene Teilzahlungsabrede zwischenzeitlich gekündigt.
Mit der Klage begehren die Kläger insbesondere die Rückzahlung der geleisteten Kaufpreise Zug um Zug gegen Rückgabe der gekauften Werke. Sie haben behauptet, auf den Vertrag vom 17.11.2006 Zahlungen i.H.v. 2.556 EUR und auf den Vertrag vom 7.4.2010 Zahlungen i.H.v. 1.131 EUR geleistet zu haben. Die Beklagte hat insoweit Zahlungen i.H.v. nur 2.412 EUR und 1.059,50 EUR zugestanden. Die Beklagte hat wegen noch ausstehender Zahlungsansprüche Widerklage erhoben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands in erster Instanz und der dort gestellten Anträge wird auf da...