Verfahrensgang
LG Hildesheim (Entscheidung vom 10.12.1985; Aktenzeichen 3 O 527/85) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hildesheim vom 10. Dezember 1985 teilweise geändert.
Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger 1.000 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25. September 1985 zu zahlen.
Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger aufgrund des Unfalls vom 19. Juni 1984 1/3 des weiteren materiellen Schadens, soweit Ansprüche nicht auf öffentliche Versicherungsträger übergegangen sind, sowie den noch nicht hinreichend übersehbaren immateriellen Schaden mit der Maßgabe zu ersetzen, daß dabei eine vom Kläger zu tragende Mitverschuldensquote von 2/3 zu berücksichtigen ist.
Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehende Berufung wird zurückgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger 2/3 und der Beklagte 1/3.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Wert der Beschwer:
für den Kläger 2.667 DM, für den Beklagten 1.333 DM.
Tatbestand
Der Kläger, der damals 12 Jahre alt war, kam am 19. Juni 1984 auf dem Weg zur Schule zu Fall, als er mit seinem Fahrrad auf dem 1,80 m breiten Radweg von B nach H fuhr. Dabei zog er sich einen Bruch des rechten Unterarmes zu. Neben dem Radweg befanden sich damals auf dem - in Fahrtrichtung des Klägers gesehen - linken Seitenstreifen Vertiefungen bis zu 10 cm, die wegen Grasbewuchses nicht zu erkennen waren.
Der Kläger hat wegen dieses Unfalls den verklagten Landkreis unter dem Gesichtspunkt der Verletzung der Verkehrssicherungspflicht auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch genommen und Feststellung verlangt, daß der Beklagte ihm auch seinen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen habe. Er hat behauptet, er habe sich wegen Gegenverkehrs oder weil er überholt worden sei, scharf links gehalten und sei mit dem Vorderrad an der äußeren Seite des Radwegbelages hinabgerutscht; dabei sei er in eine der Vertiefungen geraten, ins Schleudern gekommen und schließlich gestürzt.
Der Beklagte hat den Unfallhergang mit Nichtwissen bestritten und sich auf den Standpunkt gestellt, die Vertiefungen neben dem Radweg hätten keine Gefahr dargestellt. Auf solche Vertiefungen müsse sich ein Radfahrer einstellen; wer in der Übergangszone zwischen befestigtem Radweg und Seitenstreifen fahre, handele auf eigene Gefahr. Er hat außerdem die vom Kläger im einzelnen geschilderten Unfallfolgen bestritten und gemeint, für den Feststellungsantrag fehle es am erforderlichen rechtlichen Interesse.
Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, der Beklagte habe seine Verkehrssicherungspflicht nicht verletzt.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er die Klageansprüche weiterverfolgt.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist teilweise begründet.
1. Der Beklagte haftet dem Kläger für 1/3 des ihm entstandenen Schadens.
a) Der Beklagte hat seine Verkehrssicherungspflicht für den Radweg verletzt. Im Hinblick auf Kraftfahrzeuge hat die Rechtsprechung entschieden, daß der Kraftfahrer auch auf unbefestigten Randstreifen, die er, was die Verkehrssituation erforderlich machen kann, in langsamer und vorsichtiger Fahrweise mitbenutzen darf, ohne besonderen Hinweis nicht mit für ihn nicht erkennbaren Gefahrenstellen zu rechnen braucht, die einer solchen - eingeschränkten - Benutzung des Banketts entgegenstehen (vgl. BGH VersR 1969, 280 f, mit Anmerkung Gaisbauer VersR 1969, 515, m.w.N.; BGH VersR 1978, 573 f). Für Radwege kann im Grundsatz nichts anderes gelten. Auch für den Radfahrer gibt es Verkehrssituationen, in denen er gezwungen ist, vorübergehend auf den neben dem befestigten Radweg befindlichen Seitenstreifen auszuweichen. Dabei ist, worauf der Kläger zutreffend hinweist, zusätzlich zu berücksichtigen, daß es für einen Radfahrer schwieriger ist, die Spur zu halten, als für den Führer eines vierrädrigen Fahrzeugs. Insbesondere ist mit gelegentlich auch im "Pulk" fahrenden, nicht immer ein Höchstmaß an Sorgfalt aufbringenden Schülern, auf der anderen Seite aber auch mit älteren Leuten zu rechnen, die oftmals besonders langsam fahren und dabei mehr oder weniger ausgeprägte "Schlenker" nach beiden Seiten zu machen pflegen. Der Radfahrer darf sich darauf einstellen, daß er, wenn er aus einem dieser Gründe kurzfristig auf den Seitenstreifen gerät, nicht in eine für ihn nicht erkennbare Gefahrensituation kommt. Gerade dies war aber hier der Fall. Ein abrupter Absatz von 10 cm Tiefe bringt einen Radfahrer, wenn er nicht darauf vorbereitet ist, in der Regel zu Fall. Der Beklagte hätte daher für ein einigermaßen gleichförmiges Niveau zwischen dem eigentlichen Radweg und dem ihn begrenzenden Seitenstreifen oder zumindest für einen Zustand sorgen müssen, der die mit den Vertiefungen verbundenen Gefahren für den Benutzer deutlich erkennbar machte. Dem hat der Beklagte erst nach dem Unfall des Klägers durch Auffüllung der Vertiefungen Rechnung getragen.
b) Die Pflichtverletzung des Beklagten war ursächlic...