Entscheidungsstichwort (Thema)
Die Mindestsatzfiktion der HOAI ist gegenstandslos
Leitsatz (amtlich)
1. Die Mindest- und Höchstsätze der HOAI sind europarechtswidrig (EuGH, Urt. v. 04.07.2019 - C-377/17). Wegen des Anwendungsvorbehaltes des Europarechts sind die Gerichte verpflichtet, die für europarechtswidrig erklärten Regelungen der HOAI nicht mehr anzuwenden.
2. Die sog. Mindestsatzfiktion des § 7 Abs. 5 HOAI ist gegenstandslos.
3. Die Entscheidung des EuGH C-377/17 ist auch in laufenden Verfahren umzusetzen. Die für die nationalen Gerichte bindende Auslegung des EU-Rechts wirkt sich auf bestehende Vertragsverhältnisse aus, wenn dort in Abweichung des vereinbarten Honorars unter Bezug auf den HOAI-Preisrahmen ein Honorar in diesem Rahmen durchgesetzt werden soll.
4. Honorarvereinbarungen sind nicht deshalb unwirksam, weil sie die Mindestsätze der HOAI unterschreiten oder deren Höchstsätze überschreiten. Infolge der EuGH-Entscheidung vom 04.07.2019 ist es von Rechts wegen nicht mehr zulässig, getroffene Honorarvereinbarungen an den Mindest- und Höchstsätzen der HOAI zu messen. Honorarvereinbarungen, die das Preisrecht der HOAI ignorieren, sind daher unter diesem Gesichtspunkt nicht mehr unzulässig.
5. Bei Erbringung von Teilleistungen ist das Honorar nach dem Verhältnis der erbrachten Teilleistungen zum wirksam vereinbarten Pauschalhonorar zu bemessen. Auf die anrechenbaren Kosten kommt es dabei ebenso wenig an wie auf einen Tafelwert nach den Honorartabellen der HOAI, wenn die Parteien das Honorar davon unabhängig vereinbart haben.
Normenkette
HOAI § 7
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Aktenzeichen 5 O 307/17) |
Tenor
Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16. Oktober 2018 verkündete Urteil des Einzelrichters der 5. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg ≪5 O 307/17 ≫ aufgehoben und die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht Lüneburg zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 180.363,22 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um restliches Architektenhonorar. Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung (Bl. 153R, 154 d. A.), der wie folgt zu ergänzen ist:
Die Klägerin war von der Bauherrin, der Fa. S., bereits mit Architektenleistungen beauftragt gewesen, bevor sie und die Beklagte den streitgegenständlichen Architektenvertrag schlossen, nämlich mit den Leistungsphasen 1 bis 4. Unstreitig hat die Klägerin für die Beklagte - entgegen dem Wortlaut zum Leistungsumfang im Vertrag vom 30. Juli /11. August 2012 - nur Leistungen der Leistungsphase 5 erbracht. Die Schlussrechnung der Klägerin vom 19. Juni 2015 (Bl. 19, 20 d. A.) bezieht sich nicht nur auf das vereinbarte Pauschalhonorar in Höhe von 650.000,- EUR netto, sondern auch auf Sonderleistungen in Höhe von 41.065,73 EUR netto gemäß "gewünschten Leistungsänderungen" und für "Wohnungen".
Erbrachte Sonderleistungen hat die Beklagte dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Ferner hat sich die Beklagte auf Überzahlung der Klägerin durch erbrachte Abschlagszahlungen in Höhe von 550.000,- EUR netto berufen. Sie hat behauptet, das vereinbarte Pauschalhonorar von 650.000,- EUR netto übersteige die Höchstgrenzen der HOAI (2009). Eine zulässige Abweichung von den Höchstsätzen der HOAI (2009) sei nicht vereinbart gewesen, weil die Planung eines Wohn- und Geschäftshauses ohne besonderen künstlerischen Anspruch oder außergewöhnliche technische oder wirtschaftliche Aufgaben zu erbringen gewesen sei, sodass die Voraussetzungen des § 7 Abs. 4 HOAI (2009) nicht erfüllt seien. Angemessen seien nur 449.905,25 EUR netto, die mit den Abschlagszahlungen vollständig abgegolten seien. Hilfsweise hat die Beklagte aufgerechnet mit einer Überzahlung um 100.094,75 EUR. Die Beklagte hat die Zahlung der schlussabgerechneten Summe von restlichen 180.363,22 EUR darüber hinaus unter Hinweis auf Planungsfehler der Klägerin verweigert. Deswegen hat die Beklagte im Rechtsstreit ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht in Höhe von 200.000,- EUR.
Die Klägerin hat behauptet, sie habe einen Vergleich mit der Bauherrin geschlossen. Deswegen stünden der Beklagten keine Einwendungen gegen ihre Schlussrechnung zu. Da die Honorarkosten bei der Beklagten nur durchliefen und sie von der Bauherrin bezahlt werde, habe die Beklagte keinen Schaden erlitten. Hierzu hat die Beklagte behauptet, sie habe einen Gesamtvergleich mit der Bauherrin geschlossen, der aber keine Auswirkung auf das Vertragsverhältnis zwischen der Beklagten und der Klägerin habe, zumal unklar sei, welcher Anteil der Vergleichssumme auf das Architektenhonorar entfiele. Im Übrigen erfülle die Bauherrin diesen Vergleich nicht.
Mit dem angefochtenen Urteil vom 16. Oktober 2018 (Bl. 153 - 156 d. A.) hat der Einzelrichter der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg die Klage abgewiesen. Die Honorarvereinbarung d...