Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteueranteile an den Auftragnehmer von Bauleistungen in einem Ausnahmefall, der nur einen Freistellungsanspruch rechtfertigt.
Leitsatz (amtlich)
Zur Vermeidung einer unerträglichen Schieflage besteht ausnahmsweise keine Erstattungsfähigkeit der Umsatzsteueranteile an den Auftragnehmer von Bauleistungen, sondern nur ein Freistellungsanspruch (hier: Fristablauf nach §§ 169 Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 Ziffer 2, 170 Abs. 2 Ziffer 1 AO).
Normenkette
BGB §§ 157, 242, 313; UStG §§ 13 b, 27 Abs. 19
Verfahrensgang
LG Hannover (Aktenzeichen 14 O 175/17) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 31. Januar 2018 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 14. Zivilkammer des Landgerichts Hannover ≪14 O 175/17≫ wie folgt abgeändert:
Die Beklagte ist verpflichtet, den Kläger von einer Inanspruchnahme der Umsatzsteuerpflicht seitens des Finanzamtes M. für die Jahre 2009 und 2010 (betreffend Bauleistungen der Schuldnerin gegenüber der Beklagten) freizustellen Zug um Zug gegen Aushändigung korrigierter Abschlagsrechnungen, die gemäß §§ 14 Abs. 2 und Abs. 4, 18 UStG Angaben zum anzuwendenden Steuersatz und zum auf das Entgelt entfallenen Steuerbetrag enthalten.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Von den Kosten des Rechtsstreits (beide Instanzen und Revisionsverfahren) haben der Kläger 75 % und die Beklagte 25 % zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Beiden Parteien bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des für den jeweiligen Vollstreckungsgläubiger aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, sofern dieser nicht vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird bis zum 30. November 2020 auf 109.276,04 EUR und seit dem 1. Dezember 2020 auf 104.443,42 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um die Verpflichtung der Beklagten, an den Kläger 109.276,04 EUR bzw. (seit dem 1. Dezember 2020) 104.443,42 EUR Umsatzsteuer zu zahlen. Der Kläger ist Insolvenzverwalter über das Vermögen der Firma S. e. K., aus M., die im Auftrag der Beklagten in den Jahren 2008 und 2009 diverse Tiefbauarbeiten und Arbeiten zur Freiflächengestaltung am Bauvorhaben E.-Kaserne in M. erbrachte. Entsprechend eines auf den Rechnungen enthaltenen Zusatzes führte die Beklagte Umsatzsteuer in Höhe von insgesamt 109.276,04 EUR an das Finanzamt M. ab. Nachdem der Bundesfinanzhof (BFH) im August 2013 entschieden hatte, § 13 b Abs. 2 Nr. 4 UStG (a. F.) sei nicht erfüllt, wenn der Leistungsempfänger zwar nachhaltig Bauleistungen im Sinne des § 13 b Abs. 2 S. 2 UStG erbringe, die von ihm bezogene Leistung aber nicht seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende, beantragte die Beklagte am 24. Februar 2014 gegenüber dem Finanzamt M. die Rückerstattung der von ihr gezahlten Umsatzsteuer. Mit Schreiben vom 30. November 2015 teilte das Finanzamt M. dem Kläger unter Hinweis auf die Entscheidung des BFH vom 22. August 2013 und den Antrag der Beklagten vom 24. Februar 2014 mit, dass nunmehr er bzw. die Schuldnerin als leistende Unternehmerin Steuerschuldner sei. Gleichzeitig forderte es den Kläger unter Fristsetzung auf, für die Jahre 2009 und 2010 berichtigte Jahreserklärungen zu übermitteln (Anlagen K 4 und 5). Ferner wies das Finanzamt den Kläger darauf hin, dass er verpflichtet sei, Rechnungen auszustellen, die die in § 14 Abs. 4 S. 1 UStG vorgeschriebenen Angaben enthalte, und dass er nach § 18 UStG verpflichtet sei, die geschuldete Umsatzsteuer anzumelden, wozu berichtigte Jahressteuererklärungen einzureichen seien. Den Schreiben waren Aufstellungen beigefügt, aus denen sich die Rechnungsnummern, die Daten der Rechnungen aus den Jahren 2009 und 2010, die Rechnungsbeträge und der 19 %-ige Umsatzsteueranteil ergaben, nämlich die zunächst beantragten 109.276,04 EUR. Mit Schreiben vom 21. Juli 2016 (Anlage K 6) forderte der Kläger die Beklagte zur Zahlung dieser Summe bis zum 15. August 2016 auf.
Seine Klage hat der Kläger aufgrund einer seiner Ansicht nach gebotenen und zumutbaren Vertragsanpassung gemäß § 313 BGB für begründet gehalten. Sein Anspruch sei auch nicht verjährt. Dagegen hat die Beklagte gemeint, eine Vertragsanpassung sei mangels fehlenden überwiegenden Interesses des Klägers abzulehnen, weil der Kläger das Finanzamt nur quotal aus der Insolvenzmasse zu befriedigen beabsichtige. Im Übrigen fehle es an der vom Finanzamt geforderten spezifizierten Rechnungslegung. Deshalb sei der Anspruch des Klägers gar nicht fällig. Sie hat die Forderung des Klägers auch für verjährt angesehen. Darüber hinaus hat die Beklagte aufgerechnet mit Mängelbeseitigungskosten in Höhe von mindestens 25.000,- EUR, weil die Schuldnerin ihre Arbeiten mangelhaft ausgeführt habe, was an Bodenabsenkungen erkennbar sei, die unstreitig noch nicht ...