Leitsatz (amtlich)
§ 206 Abs. 1 Satz 1 VVG schließt nicht ausnahmslos jede außerordentliche Kündigung durch den Versicherer aus.
Normenkette
VVG § 206; BGB § 314
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 10.08.2010; Aktenzeichen 2 O 262/09) |
Tenor
1. Die Berufung des Klägers gegen das am 10.8.2010 verkündete Urteil der 2. Zivilkammer des LG Hannover wird auf seine Kosten zurückgewiesen.
2. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung von 110 % des aus dem Urteil vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
3. Die Revision wird zugelassen.
4. Streitwert für das Berufungsverfahren: bis 16.000 EUR.
Gründe
I. Der Kläger, pensionierter Polizist, unterhielt bei der Beklagten seit längerem eine private Krankenversicherung. Mit Schreiben vom 7.7.2009 (Anlage K 4, gesondert geheftet) kündigte die Beklagte das Vertragsverhältnis unter Hinweis darauf, dass der Kläger in den Jahren 2007 und 2008 168 angebliche Medikamentenbezüge zur Abrechnung eingereicht habe, die Medikamente tatsächlich aber nicht bezogen worden seien. Mit gleichem Schreiben forderte sie zur Rückzahlung erbrachter Leistungen von 3.813,21 EUR auf.
Der Kläger erwiderte durch Anwaltsschreiben vom 9.7.2009 (Anlage K 5), dass aufgrund der schweren Erkrankung seit ca. Beginn 2007 Behörden- und Versicherungsangelegenheiten durch seine Ehefrau wahrgenommen würden. Ab diesem Zeitpunkt habe er die Abrechnungen seiner Ehefrau lediglich hingenommen und auch ohne irgendeine Überprüfung gegengezeichnet. Sollten sich unberechtigte Zahlungen an ihn ergeben, so sei er auf jeden Fall bereit, eine entsprechende Rückzahlung zu tätigen. Sollte die Beklagte nicht aus Kulanzgründen den Vertrag einstweilen aufrechterhalten, müsse sie ihn zumindest auf Grundlage des Basistarifs weiter versichern. Wenig später reichte er eine eidesstattliche Versicherung seiner Ehefrau vom 23.7.2009 (Anlage K 11, nicht unterzeichnet; Anlage B 1, unterzeichnet) ein. Darin heißt es, dass sie seit der Erkrankung ihres Ehemannes allein dafür zuständig gewesen sei, Rezepte bei der Beklagten einzureichen. Die Abrechnungen seien vollständig und alleinverantwortlich durch sie vorgenommen worden. Sei z.B. ein Rezept eingereicht worden mit drei Medikamenten und nur eines abgeholt worden, so habe sie die Preise und die PZN-Nr. der anderen beiden Medikamente hinzugefügt und das Rezept so eingereicht. Die von der Beklagten ausgezahlte Summe sei dann auf ein gemeinsames Und-Konto überwiesen worden, über das sie, die Ehefrau, größtenteils alleine verfügt habe. Der Kläger habe ein eigenes weiteres Konto, auf das zu keinem Zeitpunkt Überweisungen von der Beklagten eingegangen seien. Dem Kläger habe sie erst im Juni 2009 von dieser Vorgehensweise berichtet.
Der Kläger hat gemeint, nicht gegen Versicherungspflichten verstoßen zu haben. Die Ergänzung der Rezepte habe die Ehefrau des Klägers ohne sein Wissen vorgenommen. Seine Ehefrau sei keine Repräsentantin. Der Nachweis einer Überzahlung sei nicht geführt, allenfalls i.H.v. 1.246,81 EUR, so dass der einbehaltene Differenzbetrag an ihn zurückzuzahlen sei. Zur Kündigung hat der Kläger gemeint, diese sei nach § 206 Abs. 1 VVG allgemein ausgeschlossen. Davon sei auch die außerordentliche Kündigung nach § 314 BGB erfasst.
Die Beklagte hat demgegenüber gemeint, ein Ausschluss jeglicher Kündigungsmöglichkeit habe nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprochen. Es habe auch ein wichtiger Grund für die Kündigung vorgelegen. Schon der Umstand, dass der Kläger selbst am 19.6.2006 die Beklagte aufgesucht habe, weil die Abrechnung für Mai noch nicht erfolgt gewesen sei, zeige, dass der Kläger sich selbst gekümmert habe. Weiter zeige sich dies daran, dass er verordnete Medikamente teilweise nie erworben habe. Jedenfalls sei ihm die Kenntnis seiner Ehefrau nach den Grundsätzen der Repräsentantenhaftung zuzurechnen.
Das LG hat die Klage abgewiesen. Der Versicherungsvertrag sei durch die wirksame Kündigung der Beklagten vom 7.7.2009 beendet worden. Durch die Vorlage von insgesamt 47 gefälschten Rezepten in der Zeit von 2007 bis 2009 liege ein wichtiger Grund i.S.d. § 314 BGB vor, wobei offen bleiben könne, ob der Kläger die Rezepte selbst gefälscht oder ob dies seine Ehefrau getan habe, denn der Kläger habe für das Handeln seiner Ehefrau als Repräsentantin einzustehen. Die Geltendmachung von Ansprüchen ggü. der Beklagten habe der Kläger nach seinem eigenen Vortrag vollständig seiner Ehefrau überlassen. Bei der gebotenen Gesamtabwägung ergebe sich, dass der Beklagten die Fortsetzung des Vertrages unzumutbar sei. Zwar sei der Kläger insbesondere aufgrund seines Alters und seiner Krebserkrankung in besonderem Maße schutzwürdig. Dies rechtfertige jedoch keinen fortgesetzten Betrug. Bei der Gesamtabwägung sei auch zu berücksichtigen, dass der Kläger bei jedem anderen Versicherungsunternehmen eine Restkostenversicherung im Basistarif beantragen könne ...