Leitsatz (amtlich)
Ein Anspruch auf Zahlung von Krankentagegeld ist nicht begründet, wenn ein Rechtsanwalt als Folge eines leichten Schlaganfalls an einer Lesestörung (Dyslexie) leidet. Dadurch ist dieser nicht in jeder Weise gehindert, seine berufliche Tätigkeit auszuüben, sondern ist im Rahmen seiner gesamten Berufstätigkeit zu Teilleistungen in der Lage, mithin nicht bedingungsgemäß vollständig arbeitsunfähig.
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 24.06.2011; Aktenzeichen 5 O 139/10) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 24.6.2011 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Lüneburg abgeändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 110 % des insgesamt vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Der Streitwert wird auf bis zu 40.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Zahlung von Krankentagegeld für die Zeit vom 8.6.2010 bis zum 3.6.2011.
Der am ... Februar 1967 geborene Kläger ist von Beruf Rechtsanwalt. Aufgrund eines leichten Schlaganfalls mit der Folge einer Lesestörung (Dyslexie) war er seit dem 23.8.2006 jedenfalls zunächst arbeitsunfähig.
Der Kläger unterhält bei der Beklagten mit Wirkung ab dem 1.1.2000 u.a. eine Krankentagegeldversicherung. Nach den vereinbarten Tarifen ist ab dem 22. Tag einer Arbeitsunfähigkeit ein Krankentagegeld von 51,20 EUR und ab dem 43. Tag ein weiteres Krankentagegeld von 51,20 EUR zu zahlen.
Dem Versicherungsvertrag liegen u.a. die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Krankentagegeldversicherung 2008 (AVB/KT) zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts der AVB/KT wird auf Bl. 34 - 38 d.A. Bezug genommen.
Aufgrund der bei dem Kläger eingetretenen Lesestörung und der hierauf beruhenden Arbeitsunfähigkeit zahlte die Beklagte zunächst Krankentagegeld, stellte diese Zahlungen aber mit Ablauf des 22.7.2007 ein. Auf die daraufhin erhobene Klage verurteilte der erkennende Senat die Beklagte mit Urteil vom 12.3.2009 zur Zahlung von Krankentagegeld bis zum 27.2.2009 (Bl. 326 - 348d. BA.).
Mit Schreiben vom 1.3.2010 (Bl. 19 d.A.) kündigte die Beklagte die abermalige Einstellungen der Zahlungen an. Zur Begründung wies sie darauf hin, dass beim Kläger mittlerweile Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Dies ergebe sich aus einem im Auftrag der Beklagten erstellten Gutachten der Ärzte Dres. M. und G. Danach könne der Kläger seiner beruflichen Tätigkeit als Rechtsanwalt auf unabsehbare Zeit nicht mehr nachgehen.
Der Kläger behauptet, er sei nach wie vor arbeitsunfähig, während eine Berufsunfähigkeit nicht vorliege. Die entsprechenden Feststellungen der Privatgutachter seien unzutreffend. Insbesondere hätten die Gutachter die zwischenzeitlich eingetretenen Erfolge bei der Logopädin nicht hinreichend berücksichtigt (Bl. 3 d.A.).
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 36.966,40 EUR sowie 933,82 EUR Zinsen für den Zeitraum vom 8.6.2010 bis zum 3.6.2011 sowie 5 % Zinsen auf die Hauptforderung über dem Basiszins seit dem 4.6.2011 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Ärzte Dres. M. und G. hätten festgestellt, dass beim Kläger spätestens seit dem 20.1.2010 Berufsunfähigkeit eingetreten sei. Der Kläger sei auf unabsehbare Zeit zu mehr als 50 % erwerbsunfähig. Dem Gutachten zufolge werde die Berufsunfähigkeit auch länger als drei Jahre anhalten (Bl. 33 d.A.).
Das LG hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 9.8.2010 (Bl. 120 d.A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten des Sachverständigen Dr. L. vom 14.2.2011 (Bl. 128 - 140 d.A.) und seine ergänzende Stellungnahme vom 2.5.2011 (Bl. 160 d.A.) Bezug genommen.
Mit Urteil vom 24.6.2011 hat das LG der Klage vollumfänglich stattgegeben. Der Kläger sei weiterhin arbeitsunfähig. Berufsunfähigkeit liege hingegen nicht vor. Vielmehr ergebe sich aus dem eingeholten Gutachten, dass es weiterhin zu einer Besserung der Lesefunktion komme.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Der Kläger sei berufsunfähig. Das vom LG eingeholte Gutachten beschränke sich auf das neurologische Fachgebiet. Tatsächlich hätte auch das Fachgebiet der Neuropsychologie einbezogen werden müssen. Selbst wenn aber keine Berufsunfähigkeit vorliege, hätte jedenfalls die weiterhin bestehende Arbeitsunfähigkeit aufgeklärt werden müssen. Allein die Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei hierfür nicht ausreichend.
Die Beklagte beantragt, das angefochtene Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das landgerichtliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinst...