Leitsatz (amtlich)
Beweiserleichterungen für die Kausalität einer Verletzung der Verkehrssicherungspflicht für den Schaden.
Normenkette
BGB § 823 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Aktenzeichen 7 O 258/02) |
Nachgehend
Tenor
Die Berufung gegen das am 21.11.2002 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 7. Zivilkammer des LG Verden wird auf Kosten der Klägerin zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Klägerin wird nachgelassen, die Zwangsvollstreckung gegen Sicherheitsleistung i.H.v. 115 % des vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Beklagte Sicherheit i.H.v. 115 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Gründe
1. Es wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil verwiesen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO; s. zur Zulässigkeit der Verweisung auch in revisiblen Rechtsstreitigkeiten: Zöller/Gummer, ZPO, 23. Aufl., § 540 Rz. 9).
Mit der Berufung erstrebt die Klägerin eine Verurteilung entspr. ihrem erstinstanzlichen Antrag. Sie rügt eine Verletzung des materiellen Rechts. Die Beklagte habe „nicht einmal die Grundkontrollpflichten wahrgenommen” (S. 2 Berufungsbegründung), weil sie die Allee nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme letztmals im Februar 1999 habe kontrollieren lassen. Da der Unfall sich (erst) am 20.8.2000 ereignet habe, sei die Kontrolldichte längst nicht ausreichend gewesen, zumal die Pappeln bereits überaltert und deshalb besonders anfällig „zum Bruch” (S. 2 der Klage) gewesen seien. Bei der gebotenen Kontrolle im Frühjahr 2000, und zwar im bereits belaubten Zustand, hätten „mageres Blattwerk und äußere Austrocknungserscheinungen … ohne weiteres gesichtet werden” können (S. 3 Berufungsbegründung).
Die Beklagte erstrebt weiterhin die Abweisung der Klage. Sie nimmt wie in erster Instanz ihre Aktivlegitimation in Abrede. Im Übrigen habe die Allee bis zum Unfall nicht mehr kontrolliert werden müssen. Ferner sei der abgebrochene Ast „kerngesund” gewesen, sodass auch bei weiteren Sichtkontrollen nicht hätte festgestellt werden können, dass der Ast abbruchgefährdet gewesen sei.
2. Die Berufung ist unbegründet.
Die Beklagte hat zwar ihre Kontrollpflicht verletzt. Die Klägerin kann aber nicht beweisen, dass sich bei der gebotenen Kontrolldichte Hinweise auf die Gefahr eines Astabbruchs ergeben hätten, die der Beklagten Anlass zum Handeln hätten geben müssen, sodass sie in Bezug auf die Ursächlichkeit des Versäumnisses für den Schaden beweisfällig bleibt.
Im Einzelnen:
a) Nach inzwischen gefestigter Rspr. hat der Verkehrssicherungspflichtige zur Abwehr der von Bäumen ausgehenden Gefahren die Maßnahmen zu treffen, die einerseits zum Schutz gegen Astabbruch und Windwurf erforderlich, andererseits unter Berücksichtigung des umfangreichen Baumbestandes der öffentlichen Hand zumutbar sind. Dazu reicht im Regelfall eine zweimalige Kontrolle aus, und zwar wegen der unterschiedlichen Erkenntnismöglichkeiten einmal im belaubten und einmal im unbelaubten Zustand. Dabei kann sich die Untersuchung normalerweise auf eine Sichtprüfung vom Boden aus beschränken (s. zuletzt OLG Brandenburg v. 25.2.2002 – 2 Wx 103/01, OLGReport Brandenburg 2002, 411 ff. m. zahlreichen N. aus der Rspr.).
Diese Untersuchungspflicht hat die Beklagte zweifellos (schuldhaft) verletzt. Denn sie hat vorgetragen, sie habe die Allee letztmals im Herbst 1999 kontrolliert. Nach dem Ergebnis der Vernehmung des Landschaftspflegeingenieurs S. geschah die letztmalige Kontrolle aber in noch weiter zurückliegender Zeit, nämlich im Februar 1999.
b) Die Klägerin kann jedoch nicht beweisen, dass die Sorgfaltswidrigkeit auch ursächlich für ihren Schaden geworden ist.
In aller Regel ist es Sache des Geschädigten, die Ursächlichkeit zwischen Pflichtverletzung und Schaden darzulegen und zu beweisen. Diesen Beweis kann die Klägerin nicht führen, weil nicht bekannt ist, welcher Zustand des Baumes bzw. Astes bei der gebotenen Untersuchung der Allee im Frühjahr 2000 im belaubten Zustand festgestellt worden wäre.
Beweiserleichterungen als Ausnahme von der Grundregel für die Beweislast kommen der Klägerin nicht zugute:
Es streitet nicht der Beweis des ersten Anscheins dafür, dass bei einer häufigeren und intensiveren Kontrolle des Baumes der Unfall hätte vermieden werden können. Dies würde nämlich einen typischen Geschehensablauf voraussetzen. Das Abbrechen eines Astes kann aber vielfältige Ursachen haben. Es gibt keinen allgemeinen Erfahrungssatz, wonach ein Ast, bevor er abbricht, bei einer normalen Sichtkontrolle – und schon gar nicht mehrere Monate zuvor – Krankheitssymptome aufweisen muss (vgl. OLG Karlsruhe v. 21.12.1993 – U 5/93, BSch, VersR 1994, 358).
Der Senat hat dem Geschädigten bisher Beweiserleichterungen für den Kausalverlauf in folgenden beiden Fällen gewährt:
(1) Die Ursächlichkeit der Pflichtverletzung für den Schaden ist überwiegend wahrscheinlich bzw. es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür, dass bei einer zusätzliche...