Entscheidungsstichwort (Thema)
Anlegergerechte Beratung kann nicht durch rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospekts an den Anlageinteressenten erfolgen
Leitsatz (amtlich)
Da eine anlegergerechte Beratung unter anderem eine auf die Ziele und Verhältnisse des einzelnen Anlegers abgestimmte Auswahlentscheidung erfordert, ist sie nicht allein schon dadurch erbracht, dass der Anlageberater dem Anleger rechtzeitig vor der Anlageentscheidung einen Emissionsprospekt zur Lektüre übergibt. Maßgeblich ist vielmehr, ob die Auswahlentscheidung als solche vertretbar ist.
Normenkette
BGB § 280 Abs. 1
Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 27.09.2017; Aktenzeichen 5 O 207/16) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das am 27. September 2017 verkündete Urteil der 5. Zivilkammer des Landgerichts Stade wird als unzulässig verworfen, soweit die Klägerin mit dem Berufungsantrag zu 6. ihre bereits im ersten Rechtszug gestellten Hilfsanträge weiterverfolgt.
Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das vorgenannte Urteil (als unbegründet) zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die im zweiten Rechtszug entstandenen Kosten.
Dieses Urteil und das angefochtene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung wegen der Kosten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 17.325 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Klägerin verlangt von der Beklagten Schadensersatz aufgrund angeblich fehlerhafter Anlageberatung im Zusammenhang mit dem Erwerb eines Wagniskapitalfonds.
Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage nach Durchführung einer Beweisaufnahme abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, die Klägerin sei durch die rechtzeitige Übergabe des Emissionsprospektes sowohl anlegergerecht als auch objektgerecht aufgeklärt worden. Die Klägerin habe den ihr obliegenden Beweis ihrer Behauptung, den Prospekt erst nach der Abgabe der Beitrittserklärung erhalten zu haben, nicht geführt. Die Zeugenaussage ihres Ehemanns sei weder ausreichend ergiebig noch glaubhaft. Überdies habe die Klägerin bei ihrer mündlichen Anhörung selbst eingeräumt, sich an den Ablauf der streitgegenständlichen Anlageberatung nicht mehr erinnern zu können. Der Prospekt sei zur anleger- und objektgerechten Aufklärung auch geeignet; die von der Klägerin behaupteten Prospektfehler lägen nicht vor. Die Hilfsanträge seien unzulässig.
Gegen dieses Urteil, auf dessen Begründung im Einzelnen ebenfalls verwiesen wird, richtet sich die rechtzeitig und formgerecht eingelegte Berufung der Klägerin. Die Klägerin bemängelt, dass sich das Landgericht mit dem Vorwurf der nicht anlegergerechten Beratung, also der Verfehlung ihres Anlageziels, überhaupt nicht befasst habe. Hinsichtlich der nicht objektgerechten Beratung habe das Landgericht verkannt, dass die damaligen mündlichen Erläuterungen des Beklagten gegenüber dem Prospektinhalt Vorrang hätten. Sie sei nach dem Beratungsgespräch am 2. April 2008 davon ausgegangen, vollständig beraten worden zu sein und den Emissionsprospekt daher nicht mehr lesen zu müssen. Schließlich rügt die Klägerin, dass sich das Landgericht mit den von ihr behaupteten Prospektfehlern nicht auseinandergesetzt habe.
Die Klägerin beantragt,
1. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerpartei 15.750 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Januar 2016 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übertragung der Ansprüche der Klägerpartei aus der Beteiligung an der M. GmbH & Co. KG mit einer nominellen Beteiligung in Höhe von 15.000 EUR,
2. den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerpartei 2.421,89 EUR entgangenen Gewinn nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 26. Januar 2016 zu bezahlen, Zug um Zug gegen Übertragung der in Antragsziffer 1 genannten Beteiligung,
3. festzustellen, dass der Beklagte die Klägerpartei von sämtlichen bestehenden oder zukünftigen steuerlichen und wirtschaftlichen Nachteilen freizustellen hat, die mittelbar oder unmittelbar aus den in Antragsziffer 2 genannten Beteiligungen resultieren,
4. festzustellen, dass sich der Beklagte mit der Annahme der Abtretung der Ansprüche aus der in Antragsziffer 1 genannten Beteiligung in Verzug befindet,
5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerpartei vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.990,16 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16. Januar 2016 zu bezahlen,
6. hilfsweise, für den Fall, dass das Gericht die Klage wegen Schadensersatzes abweist, den Beklagten zu verurteilen,
a) der Klägerpartei Auskunft zu erteilen über die Höhe der erh...