Entscheidungsstichwort (Thema)
Schutz des Wahlrechts des Insolvenzverwalters: Unwirksamkeit einer insolvenzbedingten Lösungsklausel
Leitsatz (amtlich)
Eine insolvenzbedingte Lösungsklausel ist in Verträgen über die Schülerbeförderung unwirksam.
Normenkette
BGB §§ 648, 648a; InsO §§ 103, 119; VOL/B 2003
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 26.01.2021; Aktenzeichen 9 O 96/20) |
Nachgehend
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 26. Januar 2021 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 9. Zivilkammer des Landgerichts Hannover wie folgt geändert:
Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 228.310 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11. Februar 2020 zu zahlen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird zugelassen.
Der Streitwert wird (auch) für den zweiten Rechtszug auf 228.310 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger nimmt als Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Vermögen eines Personenbeförderungsunternehmens die verklagte Gebietskörperschaft auf Vergütung für Schülerbeförderungsleistungen in Anspruch, die nach der Beantragung des Insolvenzverfahrens nicht mehr erbracht wurden, weil die Beklagte die Beförderungsverträge unter Berufung auf eine Insolvenzlösungsklausel sofort kündigte.
Der als Einzelkaufmann tätige Insolvenzschuldner betrieb seit vielen Jahren ein Busunternehmen. Er führte im Auftrag der Beklagten die Schülerbeförderung zu insgesamt fünf Schulen durch. Die Beklagte hatte hierzu mit dem Schuldner fünf einzelne Beförderungsverträge mit inhaltsgleichen Regelungen geschlossen, deren Laufzeit auf das Schuljahr 2019/2020 begrenzt war. Zu Nummer 16 enthielten die Verträge jeweils die folgende Bestimmung:
Der Auftraggeber ist berechtigt, den Vertrag aus wichtigem Grund fristlos zu kündigen. Als wichtige Gründe gelten insbesondere:
[...]
e) Der Auftragnehmer ist zahlungsunfähig geworden, über das Vermögen des Auftragnehmers ist ein Insolvenzverfahren oder ein vergleichbares Verfahren beantragt oder eröffnet worden, die Eröffnung eines solchen Verfahrens ist mangels Masse abgelehnt worden, der Auftragnehmer befindet sich im Verfahren der Liquidation oder der Auftragnehmer hat seine Tätigkeit eingestellt.
Der Schuldner beantragte am 23. Januar 2019 die Eröffnung des Insolvenzverfahrens. Das Amtsgericht ordnete noch am selben Tag die vorläufige Verwaltung an und eröffnete das Insolvenzverfahren mit Beschluss vom 1. April 2019. Die Beklagte kündigte die mit dem Schuldner geschlossenen Beförderungsverträge mit Schreiben vom 1. Februar 2019 wegen des vom Schuldner gestellten Insolvenzantrags. Der Kläger führte den Betrieb des Schuldners als vorläufiger Insolvenzverwalter bis zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst fort.
Der Kläger hält die Kündigung für unwirksam. Die in den Beförderungsverträgen u Nummer 16 Buchstabe e) enthaltene Regelung verstoße gegen § 119 InsO. Er behauptet, der Schuldner habe die Beförderungsleistungen bis zur Kündigung im Wesentlichen mangelfrei erbracht. Im Falle der Fortführung des Vertrags und des Betriebs des Schuldners hätte er als Insolvenzverwalter für die Masse die vertraglich vereinbarte Vergütung für die Zeit vom 1. Februar 2019 bis zum 31. Juli 2020 von insgesamt - insoweit unstreitig - 442.170 EUR vereinnahmen können. Der Kläger lässt sich gemäß § 648 Satz 2 BGB ersparte Aufwendungen in Höhe von 213.860 EUR anrechnen und macht die Differenz zwischen beiden Beträgen mit der vorliegenden Klage geltend.
Die Beklagte beruft sich demgegenüber auf die Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zur Wirksamkeit des § 8 Abs. 2 Nr. 1 Var. 2 VOB/B (2009), die sie für übertragbar hält. Sie behauptet überdies, dass es in der Vergangenheit des Öfteren begründete Beanstandungen der vom Schuldner erbrachten Beförderungsleistungen gegeben habe. Sie bestreitet außerdem die Richtigkeit der vom Kläger angesetzten ersparten Aufwendungen.
Wegen des Sach- und Streitstands erster Instanz sowie wegen der erstinstanzlich gestellten Anträge der Parteien wird auf die tatsächlichen Feststellungen im angefochtenen Urteil Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 ZPO).
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass die Beklagte die mit dem Schuldner geschlossenen Verträgen allein wegen des Insolvenzantrags habe kündigen dürfen. Die Kündigungsregelung in Nummer 16 Buchstabe e) der Verträge sei wirksam. Zwar handele es sich um eine insolvenzabhängige Lösungsklausel. Solche Klauseln verstießen aber nicht ausnahmslos gegen § 134 BGB, §§ 103, 119 InsO. Sie seien vielmehr nach der Rechtsprechung des VII. Zivilsenats des Bundesgerichtshofs zulässig, wen...