Verfahrensgang
LG Stade (Entscheidung vom 06.07.2005; Aktenzeichen 5 O 275/04) |
Gründe
Die Klägerin verlangt von den Beklagten Schadensersatz und Schmerzensgeld wegen ärztlicher Fehler in Zusammenhang mit ihrer Geburt.
I. Die mit der Klägerin schwangere Mutter der Klägerin wurde am 27. Mai 1996 in der 33. oder 34. Schwangerschaftswoche (genau ist das nicht mehr feststellbar) nach einem vorzeitigen Blasensprung stationär in der Klinik der Beklagten zu 1 aufgenommen. Am 29. Mai 1996 kam es im CTG zu kleinen, schmalen Dezellerationen und außerdem zu einer leichten Wehentätigkeit. Daraufhin wurde die Geburt eingeleitet; der unter der Leitung des Beklagten zu 2 stehende Geburtsverlauf gestaltete sich wie folgt:
Um 21:40 Uhr wurde der Klägerin ein Prostaglandin-Gel zur Wehenförderung gegeben. Eine Stunde später - um 22:40 Uhr - stand das Köpfchen der Klägerin beweglich auf dem Beckeneingang, der Muttermund war 2 cm geöffnet; die Mutter der Klägerin erhielt intramuskulär ein Schmerzmittel verabreicht. Für 0:30 Uhr ist dokumentiert: "MM 3 cm, Kopf beweglich, Beckeneingang, Dip I". Um 0:50 Uhr wurde erneut intramuskulär ein Schmerzmittel gegeben. Für 1:30 Uhr ist die fast vollständige Öffnung des Muttermundes dokumentiert. Für 1:40 Uhr ergibt sich aus der Dokumentation: "Im CTG regelmäßig tiefe Dip I bis auf 70 spm bei rascher Erholung der kindlichen Herztöne". Auch die Beklagten werten dieses CTG als pathologisch.
Um 1:44 Uhr erfolgte die erste Mikroblutuntersuchung der Klägerin; sie ergab einen pH-Wert von 7,18 (Praeazidose). Der Beklagte zu 2 legte eine Kopfschwarten-Elektrode an und verordnete angesichts des eingetretenen Geburtsstillstandes zur Unterstützung der Wehen die Anlage eines Wehentropfes. Wohl gegen 1:50 Uhr wurde Orasthin verabreicht, das den Wirkstoff Oxytocin enthält. Die um 2:02 und 2:18 Uhr durchgeführten weiteren MBU ergaben wiederum den pH-Wert von 7,18. Anschließend veranlasste der Beklagte zu 2 eine Tokolyse zur Wehenhemmung. Für 2:30 Uhr lautet seine Dokumentation: "Im CTG jetzt weiterhin Tiefe Dips I, unveränderter vaginaler Befund - 3 ml Partusisten - Entschluss zur Sectio wegen pathologischem CTG". Um 2:52 Uhr wurde die Klägerin per Sectio aus einer Hinterhauptslage entwickelt. Ihr Zustand war schlecht, der pH-Wert lag nur noch bei 7,09.
Bis zum 2. Juli 1996 wurde die Klägerin in der Kinderklinik der Beklagten zu 1 behandelt. Die Diagnose dort lautete: "Frühgeburt in der 34. Schwangerschaftswoche, perinatale Asphyxie, Hirnblutung IV°, Nebennierenblutung, posthämorrhagischer Hydrozephalus, periventrikuläre Leukomalazie."
In der Folgezeit entwickelte sich bei der Klägerin eine schwere körperliche und geistige Behinderung; die Einzelheiten hierzu sind streitig.
Die Klägerin hat behauptet, die Geburt hätte mangels entsprechender Indikation nicht durch eine Prostaglandin-Gel-Applizierung eingeleitet werden dürfen. Angesichts der heftigen Wehentätigkeit, eines hypoxieverdächtigen CTG und fetaler Azidose gegen 1:50 Uhr sei es völlig verfehlt gewesen, zusätzlich einen Wehentropf mit Oxytocin einzusetzen. Das hätte frühestens sechs Stunden nach der Prostaglandin-Gabe erfolgen dürfen; die verfrühte Gabe habe zu einer weiteren Verschlechterung der fetalen Sauerstoffversorgung geführt.
Darüber hinaus hätte angesichts der erhobenen medizinischen Befunde spätestens um 2:10 Uhr die Indikation zur Sectio gestellt werden müssen. Schon vorher habe sich der später bestätigte Verdacht auf eine Lageanomalie (Hinterhauptslage) aufgedrängt. Daraus habe sich die Notwendigkeit einer Sectio ergeben, welche pflichtwidrig nicht vorgenommen worden sei.
Überhaupt sei die kardiotokographische Überwachung der Geburt nur unzureichend gewesen. Schließlich sei die Mutter der Klägerin auch nicht früh genug über die Möglichkeit einer Sectio aufgeklärt worden. Wäre das geschehen, hätte sie sich dafür entschieden.
Bei pflichtgemäßem Verhalten des Beklagten zu 2 - so hat die Klägerin weiter behauptet - wäre es nicht zu einer Sauerstoffunterversorgung und den kausal darauf beruhenden Blutungen sowie den wiederum darauf beruhenden Behinderungen gekommen.
Die Klägerin hat beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie wegen der fehlerhaften Geburtshilfe am 30. Mai 1996 ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen, dessen Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, zzgl. 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 247 Abs. 1 BGB seit dem 16. Januar 2001;
2. festzustellen, dass die Beklagten als Gesamtschuldner dazu verpflichtet sind, der Klägerin alle materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr aus der fehlerhaften Geburtshilfe am 30. Mai 1996 entstanden sind und in Zukunft noch entstehen werden, soweit diese Ansprüche nicht in Folge zeitlicher und sachlicher Kongruenz auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben Behandlungsfehler sowie die Kausalität etwaiger Fehler bestritten; auch bei frühzeitigerer Se...