Leitsatz (amtlich)
1. An die Feststellung, der Erbe habe mit dem Pflichtteilsberechtigten, der mit einem Vermächtnis bedacht ist, durch schlüssiges Verhalten einen Verzicht auf den Zusatzpflichtteil nach § 2307 Abs. 1 Satz 2 BGB vereinbart, sind strenge Anforderungen zu stellen.
2. Aus § 2307 Abs. 1 BGB ergibt sich ohne Hinzutreten besonderer Umstände keine Verpflichtung des Pflichtteilsberechtigten, sich bei Annahme des Vermächtnisses vorzubehalten, den Zusatzpflichtteil noch geltend zu machen.
Tenor
Auf die Berufung der Kläger wird das am 12. Juni 2023 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 12. Zivilkammer des Landgerichts Hannover abgeändert und die Beklagte verurteilt, den Wert der im Nachlassbestandsverzeichnis des Notars Dr. J. K. vom 27. Juni 2022 aufgeführten Grundstücksanteile
a) Einfamilienhaus T. 3 b, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Grundbuch von Kx. Blatt ...2,
b) Einfamilienhaus P. 7 b, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Grundbuch von Kx. Blätter ...7 und ...3,
c) Wohnungseigentum A. 61, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Wohnungsgrundbuch von F. Blatt ...3x,
d) Wohnungseigentum Fx. 23, ... H., eingetragen beim Amtsgericht Hannover im Wohnungsgrundbuch von Tx. Blatt ...9,
e) Ferienhaus Txx ..., Sx.,
durch ein Wertgutachten eines unparteiischen Sachverständigen ermitteln zu lassen.
Wegen des noch unbezifferten Zahlungsantrags der Kläger wird die Sache an das Landgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Berufungsverfahrens zu entscheiden hat.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte darf die Vollstreckung wegen der Wertermittlung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 20.000 EUR abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Unter Abänderung der vorläufigen Streitwertfestsetzung im Senatsbeschluss vom 10. Januar 2024 wird der Streitwert für das Berufungsverfahren auf 200.000 EUR festgesetzt.
Gründe
A. Die Kläger haben in erster Instanz Wertermittlung für Nachlassgrundstücke verlangt und im Wege der Klagerweiterung in zweiter Instanz (Stufenklage) Zahlung von jeweils 1/16 als Zusatzpflichtteil. Der am ... 1940 geborene und am ... 2020 verstorbene Erblasser G. S. war seit dem ... 1978 in zweiter Ehe mit der Beklagten verheiratet. Der Kläger hatte vier Kinder:
aus erster Ehe:
1. die am ... 1961 geborene Klägerin zu 1,
2. den am ... 1964 geborenen Kläger zu 2 und
3. den am ... 1968 geborenen C. M., geb. S.,
aus zweiter Ehe:
4. den am ...1982 geborenen Mx. S..
Mit notariellem Testament vom 17. November 2017 (Anlage B 1 Anlagenband Beklagte) setzte der Erblasser die Beklagte als Alleinerbin ein und bestimmte:
"§ 3 Vermächtnisse
(1) Mein Sohn Mx. S. erhält ...
(2) Ferner erhält mein Sohn Mx. S. ...
(3) Meine sämtlichen Depotanteile an dem bei der Cx. bestehenden Wertpapierdepots, die wirtschaftlich mir und meiner Ehefrau jeweils hälftig zustehen, sollen dadurch versilbert werden, dass jeweils 50 % der Anteile veräußert werden. Der entstehende Erlös soll meinen Kindern B., Tz. und C. zu je 1/3 ausgezahlt werden. ... Das Vermächtnis ist spätestens nach sechs Monaten nach meinem Ableben zur Erfüllung fällig. Die Kosten der Vermächtniserfüllung tragen die Vermächtnisnehmer. Sollte das Depot nicht mehr im Bestand sein, so entfällt dieses Vermächtnis ersatzlos.
(4) ...
(5) Meinen ideellen Miteigentumsanteil von ½ an der Immobilie I. 61, ... L., nebst anteiligen Darlehen sollen meine Kinder B. und Tz. zu je ½ erhalten. ... Das Vermächtnis ist mit meinem Ableben zur Erfüllung fällig. Die Kosten der Vermächtniserfüllung trägt der Vermächtnisnehmer. Sollte das Objekt nicht mehr im Bestand sein, so entfällt das Vermächtnis ersatzlos. ..."
Das Grundstück I. 61 in L. wurde im Dezember 2019 verkauft. Aus dem Erlös erhielten die beiden Kläger und C. M. jeweils 200.000 EUR. Zuvor unterzeichneten der Erblasser, dessen Ehefrau und die drei Kinder des Erblassers aus erster Ehe am 5. Januar 2020 folgende maschinenschriftliche Erklärung (Anlage B 3):
"Vereinbarung über vorgezogene Erbschaft
für B. ..., Tz. ..., C. ...
als Erbnehmer
G. und E. S.
als Erbgeber
G. und E. S. geben den unter Erbnehmer genannten Kindern aus dem Erlös des Hausverkaufs in L. jeweils ein vorgezogenes Erbe von jeweils 200.000 EUR Wert.
Als Gegenleistung verzichten die Erbnehmer auf ihren gesetzlichen Erbteil für das Grundstück in ... Sx. ...
Weiter bestätigen die Erbnehmer, in den Jahren 2019 jeweils 200.000 EUR als vorgezogenes Erbe erhalten zu haben, sodass insgesamt jetzt die Erbnehmer als vorgezogenes Erbe von 400.000 EUR im Falle des Todes von G. S. anrechenbar ist."
Am ... 2020 verstarb der Erblasser. Mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 3. August 2020 wandten die Kläger sich an die Beklagte, um Auskunft über das Depot zu erhalten, das Gegenstand des Vermächtnisses gemäß § 3 Abs. 3 des Testaments war. Die Beklagte übermittelte mit nicht vorgelegtem Schreiben vom 20. August 2020 eine Saldenbestätigung vom 5. Juni 2020 und kehrte an ...