Leitsatz (amtlich)
Wer als erwachsener Radfahrer verbotswidrig auf einem links befindlichen Fuß und Radweg fährt und auch eine für ihn "rot" zeigende Ampel nicht beachtet, wodurch es zu einer Kollision mit einem anderen Radfahrer kommt, dem allenfalls ein geringfügiges Zuschnellfahren vorzuwerfen ist, hat den entstandenen Schaden allein zu tragen.
Normenkette
BGB § 823
Verfahrensgang
LG Verden (Aller) (Urteil vom 08.03.2005; Aktenzeichen 5 O 67/04) |
Tenor
Die Berufung der Klägerin gegen das Grund und Teilurteil der Einzelrichterin der 5. Zivilkammer des LG Verden vom 8.3.2005 wird zurückgewiesen.
Auf die Berufung des Beklagten wird dieses Urteil abgeändert und neu gefasst wie folgt:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung i.H.v. 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit i.H.v. 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Streitwert des Berufungsverfahrens: 29.058 EUR.
Gründe
I. Hinsichtlich der tatsächlichen Feststellungen wird Bezug genommen auf das angefochtene Urteil (Bl. 129 d.A.).
Das LG ist der Ansicht, der Schaden aus dem Urteil müsse hälftig verteilt werden. Deshalb hat es den auf Zahlung gerichteten Klageantrag zu 1 dem Grund nach zur Hälfte und den Klageantrag zu 2, mit dem die Klägerin die Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes begehrt, in Höhe des bei einer Mitverantwortung der Klägerin von 50 % angemessenen Betrags für gerechtfertigt erklärt. Darüber hinaus hat das LG den Beklagten verurteilt, an die Klägerin ein (Teil)Schmerzensgeld i.H.v. 3.000 EUR nebst Zinsen zu zahlen. Zudem hat es noch festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin die Hälfte aller zukünftigen immateriellen und materiellen Schäden zu ersetzen, die ihr noch aus dem streitbefangenen Verkehrsunfall entstehen, soweit diese Ansprüche nicht gesetzlich übergegangen sind oder noch übergehen.
Gegen dieses Urteil wenden sich beide Parteien mit ihrer Berufung.
Die Klägerin ist der Ansicht, sie treffe kein Mitverschulden. Insbesondere habe sie sich nicht verbotswidrig der Unfallstelle genähert, weil im Unfallbereich der Radweg in beide Richtungen freigegeben gewesen sei. Der Unfall habe sich allein deshalb ereignet, weil der Beklagte nicht auf Sicht und zu schnell gefahren sei. Sie hätte sich nicht anders verhalten können.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des LG abzuändern und den Klageantrag zu 1 zu 100 % für gerechtfertigt zu erklären vorbehaltlich des gesetzlichen Übergangs des Anspruchs auf Sozialversicherungsträger oder Dritte; den Klageantrag zu 2 auf Zahlung eines angemessenen Schmerzensgeldes dem Grunde nach i.H.v. 100 % des angemessenen Betrages für gerechtfertigt zu erklären; den Beklagten zu verurteilen, an sie ein Teilschmerzensgeld i.H.v. 6.000 EUR nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 11.3.2004 zu zahlen; festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin alle zukünftigen materiellen und immateriellen Schäden zu ersetzen, die ihr noch entstehen aus dem Verkehrsunfall vom 1.7.2003 in O., S.-Straße, Ecke M., soweit nicht die Ansprüche der Klägerin gesetzlich übergegangen sind oder noch übergehen werden auf Sozialleistungsträger oder andere Dritte.
Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen und - auf seine Berufung - das Urteil des LG abzuändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Berufung des Beklagten zurückzuweisen.
Der Beklagte meint, der Unfall sei allein auf das fahrlässige Verhalten der Klägerin zurückzuführen. Sie sei verbotswidrig auf dem linksseitigen Fuß und Radweg gefahren. Hätte sie sich stattdessen korrekt verhalten (und wäre auf der anderen Straßenseite gefahren), wäre es nicht zu dem Verkehrsunfall gekommen.
Wegen des Weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
II. Beide Berufungen sind zulässig, Erfolg hat aber nur die des Beklagten.
1. Die Berufung der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin kann von dem Beklagten nicht nach §§ 823 f., 253 f. BGB Schadensersatz verlangen, weil ein Verschulden des Beklagten nicht vorliegt.
a) Der Beklagte hat nicht gegen das Sichtfahrgebot gem. § 3 Abs. 1 S. 4 StVO verstoßen. Die in der Akte befindlichen Lichtbilder (insb. Bild 5a und 5b auf Bl. 8 f. der Beiakte 138 Js 6790/04 StA Verden; vgl. auch die Bilder 1 und 2 im Gutachten des Sachverständigen M. v. 6.1.2005, dort Bl. 20 f.) zeigen, dass der Beklagte bei seiner Fahrt mit dem Fahrrad auf dem rechtsseitigen kombinierten Rad und Gehweg entlang der S. Straße in Richtung Einmündung M. auch den Überweg einschließlich der gegenüberliegenden für ihn maßgeblichen Fußgänger/Fahrradampel überschauen konnte (vgl. vor allem Bild 2 im Sachverständigengutachten). Seine Sicht wäre nur eingeschränkt gewesen, wenn er hä...