Leitsatz (amtlich)
1. Es stellt einen allgemeinen Grundsatz des Schadensrechts dar, dass der Schädiger den Verletzten in den Verhältnissen zu entschädigen hat, in denen er ihn betroffen hat. Dass sich daraus im Einzelfall wegen des Wohnsitzes des Geschädigten in einem ausländischen Staat höhere Aufwendungen als bei einer vollständigen Schadensabwicklung in Deutschland ergeben können, hat der Schädiger in gleicher Weise hinzunehmen wie sonstige persönliche Besonderheiten des Verletzten, die die Schadensaufwendungen erhöhen können.
2. Auch eine lediglich verminderte (und nicht vollständig aufgehobene) Erwerbsfähigkeit kann einen Ersatzanspruch begründen, wenn und soweit der Anspruchsteller trotz teilweiser Erwerbsfähigkeit keine seinen verbleibenden Fähigkeiten angemessene Stelle finden kann.
Normenkette
BGB §§ 249, 256, 843
Verfahrensgang
LG Lüneburg (Urteil vom 09.10.2006; Aktenzeichen 3 O 407/03) |
Tenor
Auf die Berufung des Klägers wird das am 9.10.2006 verkündete Urteil der Einzelrichterin der 3. Zivilkammer des LG Lüneburg teilweise aufgehoben, soweit die Klage wegen eines Zahlungsanspruchs i.H.v. 41.336,40 EUR nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 7.1.2004 und wegen des Begehrens auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für künftigen unfallbedingten Verdienstausfall des Klägers bis zum Eintritt des Rentenalters ohne Anrechnung von Zahlungen der Social Security abgewiesen worden ist.
Insoweit wird das Verfahren zur erneuten Verhandlung und Entscheidung - auch über die Kosten des Berufungsverfahrens - an das LG zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
A. Der Kläger nimmt die Beklagte auf Zahlung von Verdienstausfall für den Zeitraum von März 2000 bis Dezember 2002 sowie Feststellung der Ersatzpflicht für weitere Verdienstausfallschäden ab Januar 2003 in Anspruch.
Der in Großbritannien lebende Kläger wurde am 11.8.1989 im Alter von 25 Jahren während eines Besuchs in Celle bei einem vom Versicherungsnehmer der Rechtsvorgängerin der Beklagten allein verschuldeten Unfall schwer verletzt. Er erlitt eine Fraktur des linken Hüftgelenks, eine schwere Gehirnerschütterung sowie Frakturen der Stirnhöhlenvorder- und -hinterwand und der Siebbeinzellen. Sowohl die Hüftgelenks- als auch die Schädelfrakturen wurden - noch in Deutschland - operativ fixiert; dabei wurden im Schädelbereich zwei Metallplatten eingesetzt. Diese wurden im April 1992 nach einer Infektion mit Anschwellung des Stirnbereichs operativ in England wieder entfernt. In den Jahren 2004 und 2005 kam es erneut zu Schwellungen der Stirn, die jedoch nach Behandlung mit Antibiotika jeweils wieder abklangen. Aufgrund der Hüftgelenksfraktur litt der Kläger auch nach Abschluss der postoperativen Behandlung nach dem Unfall weiter unter Beschwerden; die Beweglichkeit des Gelenks war leicht eingeschränkt und die Oberschenkelmuskulatur links in erheblichem Maße verschmächtigt. Im März 2006 erhielt der Kläger aufgrund in England diagnostizierter fortschreitender posttraumatischer Osteoarthritis der linken Hüfte ein künstliches Hüftgelenk eingesetzt.
Der Kläger hatte vor dem Unfall fünf Jahre lang eine Realschule und anschließend zwei Jahre ein weiterbildendes College mit technischer Ausrichtung besucht und danach ab 1982 eine Ausbildung zum Schuhmacher für Tanzschuhe bei einem Spezialhersteller an seinem Wohnort absolviert. Seitdem hatte er in seinem Ausbildungsbetrieb als Schuhmacher zu einem wöchentlichen Bruttolohn von 117,50 Pfund (bzw. 95,15 Pfund netto) gearbeitet. Nach Abschluss seiner unfallbedingten Behandlung kehrte er im Juli 1990 an seinen früheren Arbeitsplatz zurück. Da er geltend machte, wegen seiner Hüftbeschwerden nicht mehr über längere Zeit hinweg stehen zu können, wurde sein Arbeitsanteil in der Produktion reduziert, und sein Arbeitgeber setzte ihn zusätzlich als Prüfer in der Qualitätskontrolle ein. Ende Juli 1993 gab der Kläger dann seine Arbeitstätigkeit ganz auf, weil ihm von den zuständigen englischen Stellen eine vollständige Arbeitsunfähigkeit bescheinigt wurde. Seit August 1994 bezieht er eine Berufsunfähigkeitsrente; ferner erhält er einen staatlichen Zuschuss zu den Hypothekenzinsen für sein Haus. Beide Leistungen beliefen sich per November 2001 auf 104,89 Pfund wöchentlich und per April 2004 auf 101,89 Pfund pro Woche. Mit Bescheid des Leicester Social Security Appeal Tribunal vom 5.11.1996 (Bl. 33 ff. d.A.) wurde bestätigt, dass der Kläger seit 28.7.1993 arbeitsunfähig sei. Zur Begründung wurde darauf verwiesen, der Kläger leide nach dem Verkehrsunfall in Deutschland im Jahr 1989 unter einer Osteoarthritis und sei infolgedessen beim Treppensteigen, Sitzen und Aufstehen sowie bei längerem Stehen beeinträchtigt; in einem im Juli 1996 durchgeführten medizinischen Test habe er die für eine Berufsunfähigkeit nach englischen Recht erforderliche Punktzahl von 15 um einen Punkt überschritten.
Die Beklagte erkannte außergerichtlich ihre 100%ige Einstandspflicht...