Leitsatz (amtlich)
1. Bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs "tätig" i.S.d. § 8 Nr. 2 StVG ist derjenige, der sich freiwillig den besonderen Betriebsgefahren des betroffenen Fahrzeugs aussetzt; dazu gehört der Beifahrer.
2. Auch wenn im Bereich einer Anschlussstelle und eines Beschleunigungsstreifens mit von rechts auf die Autobahn einfahrenden Pkw zu rechnen ist, muss der Verkehr auf den durchgehenden Fahrstreifen nicht mit unvermitteltem Einfahren vom Seitenstreifen rechnen.
3. Kommt es im Zusammenhang mit einem Fahrstreifenwechsel zu einem Verkehrsunfall, wenn gerade in dem Moment, in dem ein links einen Lkw überholender Pkw auf den rechten Fahrstreifen vor den Lkw wechseln will, ein anderer Pkw vom Beschleunigungsstreifen auf die Autobahn einfährt, so dass beide Fahrzeuge denselben Teil des (rechten) Fahrstreifens zeitgleich in Anspruch nehmen wollen, spricht jedenfalls dann kein Beweis des ersten Anscheins für einen Verstoß gegen die Pflichten gem. § 7 Abs. 5 StVO, wenn der einfahrende Pkw für den Verkehrsteilnehmer auf dem durchgehenden Fahrstreifen im Moment des Fahrstreifenwechsels nicht sichtbar war.
4. Zum stillschweigenden Haftungsausschluss bei "Gefälligkeitsfahrten".
Normenkette
StVG § 8; StVO § 7 Abs. 5
Verfahrensgang
LG Hannover (Urteil vom 19.01.2010; Aktenzeichen 2 O 340/08) |
Tenor
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil der Einzelrichterin der 2. Zivilkammer des LG Hannover vom 19.1.2010 wird zurückgewiesen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
(gemäß §§ 540 Abs. 2, 313a Abs. 1 Satz 1 ZPO):
I. Die Parteien streiten um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall vom 1.6.2008 auf der Bundesautobahn 2. Die Beklagte steuerte das Fahrzeug des Klägers, der als Beifahrer zusammen mit dem Zeugen Sch. ebenfalls an der Fahrt teilnahm. Im Bereich der Anschlussstelle Hannover/Herrenhausen kam es zu einem Verkehrsunfall. Die Autobahn hat dort drei Fahrspuren. Die Beklagte befuhr mit dem Pkw des Klägers die mittlere Fahrspur, auf der rechten Fahrspur befand sich ein Lkw, den die Beklagte überholte. Als sie nach Vorbeifahrt an dem Lkw auf die rechte Fahrspur einscherte, kam im selben Moment - jedenfalls nach der insoweit übereinstimmenden Darstellung der drei Fahrzeuginsassen im Pkw des Klägers - von rechts aus dem Bereich der Einfädelungsspur ein "blauer Pkw" heran und fuhr auf die rechte Fahrspur. Um einer befürchteten Kollision zu entgehen, riss die Beklagte das Lenkrad herum, der Pkw des Klägers kam ins Schleudern, drehte sich und kollidierte mit der Leitplanke am Seitenstreifen. Der "blaue Pkw" fuhr davon. Nähere Angaben - insbesondere zum Fahrzeugtyp und zum amtlichen Kennzeichen - dieses Pkw fehlen.
Der Kläger hatte für sein Fahrzeug noch Darlehensraten an die S. C. Bank AG zu entrichten. Das Auto stand im Sicherungseigentum dieser Bank. Der Kläger sieht sich Schadensersatzansprüchen seitens der Sicherungseigentümerin ausgesetzt und begehrt deshalb von der Beklagten den Ausgleich der unfallbedingt entstandenen Schäden i.H.v. 7.538,79 EUR durch Zahlung an die S. C. Bank AG.
Das LG hat die Klage insgesamt abgewiesen. Mit seinem Rechtsmittel verfolgt der Kläger seine Ansprüche ungemindert weiter. Die Beklagte beruft sich u.a. auf einen stillschweigenden Haftungsausschluss.
II. Die Berufung hat keinen Erfolg.
1. Vertragliche Ansprüche:
Dem Kläger steht kein Anspruch aus einem Leihvertrag zu. Es fehlt an dem entsprechenden Rechtsbindungswillen (vgl. schon BGH, Urt. v. 22.6.1956 - I ZR 198/54, BGHZ 21, 102, juris-Rz. 14 f.).
Dass eine fehlende rechtliche Verpflichtung (wie bei einem Leihvertrag zur Überlassung des Pkw) einem Rechtsbindungswillen nicht unbedingt entgegenstehen muss (BGH, a.a.O., juris-Rz. 13), ist hier ohne Belang, weil es entscheidend darauf ankommt, wie sich dem objektiven Beobachter das Handeln des Leistenden darstellt (so schon RG, JW 1915, 19; BGH, a.a.O., juris-Rz. 14 f.). Nach dem unstreitigen Vortrag der Parteien wollten sie gemeinsam nach Osnabrück fahren, um dort eine Wohnung zu besichtigen. Die Parteien waren damals miteinander befreundet. Das spricht - unabhängig davon, ob die Beklagte für den Kläger gefahren oder dieser auf Wunsch der Beklagten mitgekommen ist - für eine Gefälligkeitsfahrt außerhalb des rechtsgeschäftlichen Bereichs (vgl. BGH, a.a.O., Rz. 15).
2. Ansprüche aus Gefährdungshaftung nach dem StVG:
Unmittelbare Ansprüche aus dem StVG scheiden aus. Denn gem. § 8 Nr. 2 StVG besteht ein Ausschluss der Gefährdungshaftung (§ 7 StVG), wenn der Verletzte bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs tätig war. Verletzter i.S.v. § 8 Nr. 2 StVG ist dabei auch der Eigentümer einer beschädigten Sache (vgl. BGH, Urt. v. 3.12.1991 - VI ZR 378/90, VersR 1992, 437, juris-Rz. 16; Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 40. Aufl., § 8 StVG Rz. 1). Tätig bei dem Betrieb des Kraftfahrzeugs ist derjenige, der sich durch seine Tätigkeit freiwillig den besonderen Gefahren des Betriebs des betroffene...