Leitsatz (amtlich)
Ist ein bestehendes Risiko dem aufklärenden Arzt nicht bekannt und musste es ihm auch nicht bekannt sein, kommt eine Haftung wegen der Verletzung von Aufklärungspflichten nicht in Betracht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 08 O 2226/20) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 14.11.2023 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert des Berufungsverfahrens auf 20.000,00 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Die Klägerin begehrt Schmerzensgeld in Höhe von 20.000,00 EUR aus eigenem Recht mit der Behauptung, ihr Vater K... I... (im Folgenden: Patient) sei infolge von Behandlungs- und Aufklärungsfehlern am 06.08.2019 verstorben. Sie verfügte über eine Generalvollmacht und eine Patientenverfügung des Patienten. Der am 11.01.1934 geborene Patient litt unteren mehreren Erkrankungen, u. a. Diabetes mellitus Typ II, coronare Dreigefäßerkrankung und einer chronischen Niereninsuffizienz und war seit November 2018 Dialysepatient bei der Beklagten. Im Mai 2019 wurde bei ihm ein Shunt (operativ eingelegte Kurzschlussverbindung des Gefäßnetzes am rechten Unterarm) gelegt, um die dreimal wöchentlichen Hämodialysen einfacher durchführen zu können. Am 05.08.2019 war eine Prüfung des Shunts in der gefäßchirurgischen Spezialsprechstunde des evangelischen Diakonissenkrankenhauses ... erfolgt und eine gute Shuntfunktion bestätigt worden. Am 06.08.2019 erfolgte planmäßig um 9.00 Uhr eine Dialysebehandlung im Hause der Beklagten. Der Patient verließ die Praxis gegen 12.00 Uhr und wurde mit dem Taxi nach Hause gefahren. Nach den Angaben der Klägerin sei der Patient dement gewesen. Da er von der Klägerin am Nachmittag des Tages nicht erreicht werden konnte, wurde die Wohnung gegen 19.40 Uhr von Polizei und den alarmierten Rettungskräften geöffnet. Der Patient wurde tot aufgefunden. In der Wohnung waren Blutspuren in allen Räumen zu finden und am rechten Unterarm des Patienten befand sich ein selbstgebastelter Verband aus Malerkrepp. Das Ermittlungsverfahren wurde nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. In dem von der Staatsanwaltschaft eingeholten Gutachten wurde festgestellt, dass der Patient an einem Blutverlust aus dem Dialyseshunt verstorben ist. Aus Sicht der Gutachter waren keine vorwerfbaren todesursächlichen Behandlungsfehler zu erkennen.
Die Klägerin hat vorgetragen, die Behandler der Beklagten hätten die Dialyse nicht ordnungsgemäß durchgeführt und es unterlassen, die Blutdruckwerte bei der Entlassung des Patienten zu kontrollieren. Es sei nicht ungewöhnlich, dass es zu einer Blutung komme. Dies sei vermeidbar. Wegen der Demenz des Klägers sei ihm das richtige Verhalten bei einem Notfall nicht bekannt gewesen. Der russischsprachige Patient sei vor Behandlungsbeginn über das Risiko des tödlichen Blutverlustes nicht aufgeklärt worden.
Die Beklagte hat behauptet, die Behandlung sei nach dem Facharztstandard durchgeführt worden und der Patient sei mit einem normalen Blutdruck und nach Kontrolle des Verbandes entlassen worden. Ihm sei auch bekannt gewesen, wie er sich bei einem Blutverlust zu Hause verhalten solle. Darüber sei er auch durch den russisch sprechenden Arzt aufgeklärt worden. Des Weiteren sei die Klägerin mehrfach bei Besprechungen zur Dialyse als angehörige Kontaktperson anwesend gewesen und über das Verhalten bei Komplikationen aufgeklärt worden.
Das Landgericht hat ein Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. G... eingeholt und die Klage mit Urteil vom 07.07.2023 abgewiesen.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Klägerin. Sie meint, das Landgericht sei fehlerhaft davon ausgegangen, dass die Beklagte keine Aufklärungs- und Präventionspflicht über eine Shuntblutung treffe. Die fehlende Erwähnung von potentiell tödlichen Behandlungsfolgen in literarischen Standardwerken der Dialysebehandlung habe keinen Aussagehalt zu der Vorhersehbarkeit und der damit befundenen Pflichten der Beklagten. Als Spezialistin auf diesem Gebiet müsse die Beklagte über das notwendige Fachwissen verfügen. Der Patient hätte wegen seines hohen Alters und auch wegen der geistig nicht mehr allzu hohen Leistungsfähigkeit über das Risiko einer Shuntblutung aufgeklärt werden müssen. Diesbezüglich sei die Beklagte auch beweisbelastet.
Die Klägerin beantragt,
1. das Urteil des Landgericht Leipzig vom 07.07.2023, Az: 08 O 2226/20 wird aufgehoben und der Klage stattgegeben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld - mindestens jedoch 20.000,00 EUR - nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
3. Die Beklagte wird verurteilt die Klägerin von vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 1.171,67 EUR freizustellen.
4. Die Kosten des Verfahrens werden dem Beklagten auferlegt.
Die B...