Entscheidungsstichwort (Thema)
Strafprozessrecht: Haftgrund der Wiederholungsgefahr
Leitsatz (redaktionell)
1. Die wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Untersuchungshaft stellt kein Mittel der Verfahrenssicherung dar, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten, sie ist somit präventiv-polizeilicher Natur.
2. a) Die Wiederholungsgefahr im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke Neigung des Angeschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr begründet ist, er werde gleichartige Taten, wie die Anlasstaten, bis zur rechtskräftigen Verurteilung in der dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache begehen.
b) Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Die die Gefahr begründende Tatsache ist - in der Regel - eine innere Neigung oder wenigstens Bereitschaft, Straftaten zu begehen. Auf diese innere Einstellung ist nach den Grundsätzen der Prognosemethodik augrund von (äußeren) Hilfstatsachen zu schließen. Diese Tatsachen umfassen die Vortaten und alle Lebensverhältnisse des Betroffenen, die die Prognose zulassen, es sei die Gefahr begründet, dass er weitere Straftaten begehen werde, wobei den Vorstrafen dabei für die Prognose der Wiederholungsgefahr erhebliche Bedeutung zukommt.
3. Weder eine Geldstrafe von 35 Tagessätzen wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr noch eine Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft nach § 153a StPO (Verdacht des Verstoßes gegen das BtMG wegen Handels mit psilocybinhaltigen Duftkissen) vermögen Wiederholungsgefahr zu begründen.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Beschluss vom 23.03.2006; Aktenzeichen 1 Qs 87/06) |
AG Chemnitz (Beschluss vom 22.12.2005; Aktenzeichen 1 Gs 1125/05) |
Gründe
I.
Der am 21. Dezember 2005 festgenommene Angeschuldigte befindet sich seither aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts Chemnitz vom 22. Dezember 2005 (Az.: 1 Gs 1125/05) ununterbrochen in Untersuchungshaft. Mit dem auf Wiederholungsgefahr gemäß § 112a Abs. l Nr. 2 StPO gestützten Haftbefehl wird ihm unter anderem gewerbsmäßige unerlaubte Abgabe von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge an Minderjährige in 16 tatmehrheitlichen Fällen vorgeworfen. Hinsichtlich der konkreten Vorwürfe sowie des genauen Sachverhalts wird auf den Haftbefehl des Amtsgerichts Chemnitz vom 22. Dezember 2005 Bezug genommen.
Die gegen den Haftbefehl erhobene Beschwerde des Angeschuldigten hat das Landgericht Chemnitz als unbegründet verworfen. Auf die weitere Beschwerde hat das Landgericht seiner Entscheidung mit Beschluss vom 23. März 2006 nicht abgeholfen.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die weitere Beschwerde des Angeschuldigten gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 02. März 2006 als unbegründet zu verwerfen.
Mit Schrift vom 20. März 2006 hat die Staatsanwaltschaft Chemnitz Anklage beim Landgericht Chemnitz - Jugendkammer -erhoben.
II.
Die (zulässige) Beschwerde des Angeschuldigten hat Erfolg,
Der vom Amtsgericht angenommene - subsidiäre - Haftgrund der Wiederholungsgefahr (§ 112a Abs. l Nr. 2 StPO) besteht nicht, weshalb der Haftbefehl aufzuheben ist.
Die wegen Wiederholungsgefahr angeordnete Untersuchungshaft stellt kein Mittel der Verfahrenssicherung dar, sondern eine vorbeugende Maßnahme zum Schutz der Rechtsgemeinschaft vor weiteren erheblichen Straftaten, sie ist somit präventiv-polizeilicher Natur (vgl. BVerfG NJW 1966, 243). Aus verfassungsrechtlichen Gründen sind deshalb strenge Anforderungen an den Haftgrund der Wiederholungsgefahr zu stellen.
Die Wiederholungsgefahr im Sinne des § 112a Abs. 1 Nr. 2 StPO muss durch bestimmte Tatsachen begründet werden, die eine so starke Neigung des Angeschuldigten zu einschlägigen Straftaten erkennen lassen, dass die Gefahr begründet ist, er werde gleichartige Taten, wie die Anlasstaten, bis zur rechtskräftigen Verurteilung in der dem Gegenstand des Ermittlungsverfahrens bildenden Sache begehen. Diese Gefahrenprognose erfordert eine hohe Wahrscheinlichkeit der Fortsetzung des strafbaren Verhaltens. Die die Gefahr begründende Tatsache ist - in der Regel - eine innere Neigung oder wenigstens Bereitschaft, Straftaten zu begehen. Auf diese innere Einstellung ist nach den Grundsätzen der Prognosemethodik augrund von (äußeren) Hilfstatsachen zu schließen. Diese Tatsachen umfassen die Vortaten und alle Lebensverhältnisse des Betroffenen, die die Prognose zulassen, es sei die Gefahr begründet, dass er weitere Straftaten begehen werde (vgl. LG-Hilger, StPO, § 112a Rdnr. 36). Den Vorstrafen kommt dabei für die Prognose der Wiederholungsgefahr erhebliche Bedeutung zu (LR-Hilger, StPO, § 112a Rdnr. 37).
Der Angeschuldigte wurde am 16. April 2004 durch das Amtsgericht Annaberg wegen fahrlässiger Trunkenheit im Verkehr zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen zu je 70,00 EUR verurteilt (Az.: XXX). Diese Vorverurteilung ist aufgrund der mangelnden Schwere ...