Leitsatz (amtlich)

Maßgeblich für die Erstbemessung der Invalidität in der Unfallversicherung ist allein der Zeitraum des Ablaufs der Invaliditätsfrist. Auf die Drei-Jahresfrist für die Neubemessung kommt es nur dann an, wenn der Versicherungsnehmer noch vor Ablauf dieser Frist klageweise Invaliditätsansprüche geltend macht.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 296/18)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.08.2020 wird aufgehoben.

4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 73.525 EUR festzusetzen.

 

Gründe

I. Die Klägerin schloss für ihren am 06.11.1995 geborenen Sohn (im Folgenden Versicherter) mit der Beklagten zwei Unfallversicherungsverträge ab, in denen die Zahlung einer Unfallrente bei einem Invaliditätsgrad ab 50% in Höhe von 615,00 EUR und 250,00 EUR jeweils monatlich vereinbart worden war (Anlage K1 und K2). Den Versicherungen liegen die Allgemeinen Unfallversicherungsbedingungen (FA-AUB 2008) der Beklagten (Anlage E 3) zugrunde, die u. a. folgende Regelungen enthalten:

2.1.1 Voraussetzungen für die Leistung:

2.1.1.1 Die körperliche oder geistige Leistungsfähigkeit der versicherten Person ist unfallbedingt dauerhaft beeinträchtigt (Invalidität). Eine Beeinträchtigung ist dauerhaft, wenn sie voraussichtlich länger als drei Jahre bestehen wird und eine Änderung des Zustandes nicht erwartet werden kann.

Die Invalidität ist

  • innerhalb eines Jahres nach dem Unfall eingetreten und
  • innerhalb von 15 Monaten nach dem Unfall von einem Arzt schriftlich festgestellt und von Ihnen bei uns geltend gemacht worden.

...

2.1.2.2.1 Bei Verlust oder völliger Funktionsunfähigkeit der nachstehend genannten Körperteile und Sinnesorgane gelten ausschließlich, die folgenden Invaliditätsgrade:

Arm 70%

...

Hand 55%

...

Bei Teilverlust oder teilweiser Funktionsbeeinträchtigung gilt der entsprechende Teil des jeweiligen Prozentsatzes.

...

9.1 Wir sind verpflichtet, innerhalb eines Monats - beim Invaliditätsanspruch innerhalb von drei Monaten - in Textform zu erklären, ob und in welchem Umfang wir einen Anspruch anerkennen. Die Fristen beginnen mit dem Eingang folgender Unterlagen:

  • Nachweis des Unfallherganges und der Unfallfolgen,
  • beim Invaliditätsanspruch zusätzlich der Nachweis über den Abschluss des Heilverfahrens, soweit es für die Bemessung des Invaliditätsgrades notwendig ist.

...

9.4 Sie und wir sind berechtigt, den Grad der Invalidität jährlich, längstens bis zu drei Jahren nach dem Unfall, erneut ärztlich bemessen zu lassen. ... Dieses Recht muss

  • von uns zusammen mit einer Erklärung über unsere Leistungspflicht nach Ziffer 9.1,
  • von Ihnen vor Ablauf der Frist ausgeübt werden.

Am 03.06.2014 stürzte der Versicherte mit dem rechten Oberarm auf einen Blumentopf, der zersplitterte. Der Versicherte zog sich dabei tiefe Schnittverletzungen am Oberarm zu, die noch am Unfalltag im Klinikum ... gGmbH in L... operativ versorgt wurden. Hierbei wurde eine Verletzung des Nervus ulnaris, des Nervus medianus, der Arteria brachialis des Oberarmes sowie von Teilen der M. biceps und M. triceps diagnostiziert. Am 15.01.2015 konnte eine motorisch komplette Parese des Nervus ulnaris und des Nervus medianus, Atrophie und Hypästhesien festgestellt werden. Am 13.04.2015 bestätigte Dr. G... einen nahezu vollständigen Funktionsverlust der rechten Hand und ein Streckdefizit des rechten Armes. Die Frage, ob die Unfallverletzungen vollkommen abheilen werden, verneinte er, die sichere Feststellung eines Dauerschadens sei nach zwei Jahren möglich. Die Beklagte erklärte daraufhin mit Schreiben vom 05.05.2015 (Anlage K10), dass sie den Schadensfall bis Juni 2016 zurückstellen werde. Auf Veranlassung der Württembergischen Versicherungs AG, bei der der Vater des Versicherten eine weitere Unfallversicherung für den Kläger hält, wurde ein Gutachten erstellt und der Grad der Funktionsbeeinträchtigung des Armes von Dr. G... am 13.07.2015 auf 2/3 Armwert (Anlage K11) bemessen. Ebenfalls auf Veranlassung der Württembergischen Versicherungs AG wurde am 25.10.2016 von dem Facharzt für Chirurgie Dipl. med. H... eine dauernde Beeinträchtigung des rechten Armes auf 3/5 Armwert geschätzt (Anlage K12). Das von der YYY Versicherungs AG eingeholte nervenärztliche Gutachten des Prof. Dr. B... vom 07.09.2017 (Anlage B5) kam zu einem Armwert von 5/10. Mit Schreiben vom 26.09.2017 lehnte die Beklagte Leistungen aus den Unfallversicherungen ab, weil nur ein Invaliditätsgrad von 35% vorliege. Mit der am 06.02.2018 erhobenen Klage begehrt die Klägerin Zahlung einer monatlichen Invaliditätsrente in Höhe von 865,00 EUR für die Vergangenheit und Zukunft.

Sie hat behauptet, es liege eine Invalidität von 55% vor. Im Hinblick auf die Beschwerden und Funktionseinschränkungen, die auch der Gu...

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