Leitsatz (amtlich)
1. Wird der Post eines Nutzers in einem sozialen Netzwerk automatisch gelöscht und auf dessen Beschwerde unmittelbar wieder eingestellt, fehlt es an der für einen Unterlassungsanspruch erforderlichen Wiederholungsgefahr.
2. Anders ist dies, wenn der Netzanbieter die Löschung zunächst verteidigt oder durch sein Verhalten zu erkennen gibt, sie nach wie vor für berechtigt zu halten. (Festhaltung Senat, Beschluss vom 4. Oktober 2021, Az.: 4 W 625/21)
3. Eine solche Verteidigung liegt aber nicht bereits dann vor, wenn eine Eingangsbestätigung den Hinweis enthält, der Vorgang sei "noch einmal geprüft" worden, aus den äußeren Umständen zugleich jedoch klar ersichtlich ist, dass eine solche Prüfung nicht stattgefunden haben kann.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 3 O 851/21 EV) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung des Klägers ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Der Kläger hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Er sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.10.2021 wird aufgehoben.
4. Der Senat beabsichtigt, den Streitwert auf 1.200 EUR festzusetzen.
Gründe
I. Der Kläger unterhält auf dem von der Beklagten betriebenen sozialen Netzwerk ... ein privates Benutzerkonto. Er begehrt im einstweiligen Verfügungsverfahren, der Beklagten zu verbieten, einen Beitrag zu löschen oder ihn wegen dessen Inhalt befristet zu sperren. Am 18.04.2021 teilte er einen Beitrag der Website "Die ...", in welchem er folgenden Text voranstellte:
"... Bitte lesen!
'Der Deutsche gleicht dem Sklaven, der seinem Herrn gehorcht ohne Fessel, ohne Peitsche, durch das bloße Wort, ja durch einen Blick. Die Knechtschaft ist in ihm selbst, in seiner Seele; schlimmer als die materielle Sklaverei ist die spiritualisierte. Man muß die Deutschen von innen befreien, von außen hilft nichts.'
Diese Sätze stammen von Heinrich Heine, und sie sind gerade wieder sehr aktuell. Vor kurzem hat ... dieses Zitat eines Nutzers gelöscht. Heinrich Heine verstößt offenbar gegen die Nutzungsbedingungen von ..., aber dass er aneckt, ist er ja gewohnt und wird sich deshalb vielleicht nur leicht in seinem Grab auf dem Pariser Friedhof Montmartre auf die andere Seite drehen und genüsslich im ewigen Dämmerschlaf zu sich sagen: 'Offenbar habe ich immer noch recht.' Das muss man erst mal hinbekommen: Heine floh zu Lebzeiten nach Paris, wurde unter den Nazis verboten und wird heute von ... zensiert - wegen sogenannter 'Hassrede', dem inzwischen bis zur totalen Lächerlichkeit ausgehöhlten Gummibegriff der hyperkorrekten Machthaber und digitalen Gatekeeper von heute ..."
Der Beitrag wurde noch am gleichen Tag wegen Verstoß gegen der Gemeinschaftsstandards von der Beklagten gelöscht und der Kläger für einen Tag gesperrt. Der Kläger konnte sein ...-Konto für 24 Stunden nicht aktiv nutzen. Der Kläger forderte die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 19.04.2021 auf, bis zum 22.04.2021, 12:00 Uhr, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Am 21.04.2021 stellte die Beklagte den gelöschten Beitrag wieder her.
Der Kläger meint, die Löschung sei rechtswidrig erfolgt, denn es liege kein Verstoß gegen die Gemeinschaftsstandards vor. Die Beklagte habe bundesweit eine Vielzahl von Fällen das streitgegenständliche Heinrich Heine Zitat rechtswidrig gelöscht. Die Löschung greife in das Recht des Klägers auf freie Meinungsäußerung ein. Die Wiederherstellung des Beitrages ändere an der Rechtslage nichts, denn es bestehe nach wie vor Wiederholungsgefahr. Die Beklagte habe auch in der Vergangenheit in anderen Fällen wiederhergestellte Beiträge erneut gelöscht.
Die Beklagte ist der Auffassung, die vorübergehende Löschung des Beitrages sei rechtmäßig gewesen. Sie müsse in einer sehr hohen Anzahl von Fällen unter hohem zeitlichen Druck komplexe Bewertungen vornehmen. Es sei daher objektiv nachvollziehbar, jedenfalls eine vertretbare Annahme gewesen, dass der in Rede stehende Post gegen das Verbot der Hassrede verstoße. Im Rahmen der Selbstkontrolle habe sich dies als nicht begründet erwiesen. Auf die Frage, ob der Beitrag gegen das Verbot der Hassrede verstoße, komme es jedenfalls nicht mehr an. Eine Wiederholungsgefahr bestehe nicht, denn die Beklagte habe im Wege der Selbstkontrolle kurzfristig den Beitrag wieder hergestellt. Es bestehe auch kein Eilbedürfnis. Es handele sich hier um eine Leistungsverfügung und der Kläger habe dazu nichts dargetan.
Das Landgericht Dresden hat mit Urteil vom 13.07.2021 den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückgewiesen und hat sowohl den Verfügungsanspruch als auch den Verfügungsgrund verneint.
Hiergegen richtet sich die Berufung des Klägers, mit der er seinen erstinstanzlichen Antrag weiterverfolgt. Ein Recht zur Löschung oder Sperrung wegen unstreitig zulässiger Inhalte bestehe nicht. Das Heine Zitat sei von der Beklagten in einer Vielzahl von Fällen zu Unrecht gelöscht worden. Die Bereitschaft der Beklagten, sic...