Leitsatz (amtlich)
Für das behördliche Verfahren über die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG kann dem Verurteilten ein Pflichtverteidiger nicht bestellt werden; insoweit findet § 140 Abs. 2 StPO keine entsprechende Anwendung (entgegen Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 1. Oktober 2008 - 1 Ws 431/08, Rn. 18, juris).
Stattdessen ist dem Verurteilten unter den Voraussetzungen des § 1 BerHG auf Antrag Beratungshilfe zu gewähren.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Entscheidung vom 11.03.2022; Aktenzeichen 1 KLs 840 Js 29420/08) |
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Verfügung der Vorsitzenden der 1. Strafkammer des Landgerichts Chemnitz vom 11. März 2022 wird aus den im Ergebnis zutreffenden, durch das Beschwerdevorbringen nicht entkräfteten Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet
verworfen.
2. Der Beschwerdeführer hat die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen (§ 473 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Gründe
Die zulässige sofortige Beschwerde des Verurteilten gegen die Ablehnung der Pflichtverteidigerbestellung für das Verfahren über die Zurückstellung der Strafvollstreckung nach § 35 Abs. 1 BtMG ist unbegründet.
1. Entgegen der Auffassung des Thüringer Oberlandesgerichts (Beschluss vom 01. Oktober 2008 - 1 Ws 431/08, Rn. 18, juris = NStZ 2010, 525; ferner Patzak/Volkmer/Fabricius, BtMG, 10. Aufl., § 35 Rn. 313) und der Generalstaatsanwaltschaft ist § 140 Abs. 2 StPO im Zurückstellungsverfahren nach § 35 BtMG nicht entsprechend anwendbar.
Eine analoge Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Strafvollstreckungsverfahren wird bejaht, soweit die Staatsanwaltschaft als Vollstreckungsbehörde eine der in § 458 Abs. 2 StPO aufgeführten Entscheidungen zu treffen hat oder das Gericht nach §§ 453, 454, 454a, 462 StPO, auch i.V.m. § 463 StPO, entscheidet (vgl. die Beispiele aus der Rechtsprechung bei Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 64. Aufl., § 140 Rn. 35). Bei der von der Vollstreckungsbehörde nach § 35 Abs. 1 BtMG zu treffenden Entscheidung über die Zurückstellung der Strafvollstreckung handelt es sich jedoch nicht um eine Prozesshandlung, für deren gerichtliche Überprüfung - wie bezüglich derjenigen nach § 458 Abs. 2 StPO - das Gericht des ersten Rechtszugs oder die Strafvollstreckungskammer zuständig ist (§ 462a StPO), sondern um einen Justizverwaltungsakt, welcher im Falle der Ablehnung der Zurückstellung vom Verurteilten mit einer Vorschaltbeschwerde zur Generalstaatsanwaltschaft und, falls auch diese eine Zurückstellung ablehnt, mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts gemäß § 23 Abs. 1 Satz 1 EGGVG angefochten werden kann. Soweit für die Zurückstellung nach § 35 Abs. 1 Satz 1 BtMG die Zustimmung des Gerichts erforderlich ist, handelt es sich bei dieser gerichtlichen Entscheidung lediglich um eine Zwischenentscheidung im Verwaltungsverfahren, welche der Verurteilte im Falle der Verweigerung nicht selbständig, sondern nur zusammen mit der Ablehnung der Zurückstellung durch die Vollstreckungsbehörde anfechten kann (§ 35 Abs. 2 Satz 2 BtMG). Zudem stünde die entsprechende Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im vorangehenden Verwaltungsverfahren im Widerspruch dazu, dass im sich gegebenenfalls anschließenden Verfahren nach §§ 23 ff. EGGVG sowohl für den Antrag auf gerichtliche Entscheidung des Oberlandesgerichts als auch für eine Rechtsbeschwerde gegen dessen Entscheidung lediglich die Vorschriften der §§ 114 ff. ZPO über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe Anwendung finden (§ 29 Abs. 4 EGGVG; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O., § 29 EGGVG Rn. 11), bei denen es im Unterschied zur Pflichtverteidigerbestellung auf die Bedürftigkeit des Antragstellers und die Erfolgsaussichten des Antrags bzw. der Rechtsbeschwerde ankommt.
Schließlich gibt es auch kein Bedürfnis für eine entsprechende Anwendung des § 140 Abs. 2 StPO im Justizverwaltungsfahren nach § 35 Abs. 1 BtMG. Einem bedürftigen Verurteilten ist insoweit unter den Voraussetzungen des § 1 BerHG auf Antrag Beratungshilfe zu gewähren.
2. Auf die Entscheidung dieser Frage kommt es aber vorliegend im Ergebnis nicht an. Denn selbst wenn man die im Vollstreckungsverfahren nur eingeschränkt geltende Regelung des § 140 Abs. 2 StPO hier entsprechend anwenden könnte, wäre der Antrag auf eine Pflichtverteidigerbestellung aus den insoweit zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung abzulehnen, weil der haft- und therapieerfahrene Verurteilte in der Lage gewesen ist, seine Rechte im Zurückstellungsverfahren selbst wahrzunehmen.
Fundstellen
Haufe-Index 15165188 |
JurBüro 2022, 484 |
NJ 2022, 327 |
StV 2022, 566 |
StraFo 2022, 280 |