Entscheidungsstichwort (Thema)
Hundeleine
Leitsatz (amtlich)
›Eine sächsische Polizeiverordnung, die einen Anleinzwang für Hunde im Gemeindegebiet anordnet, findet ihre Ermächtigungsgrundlage im Polizeigesetz des Freistaates Sachsen. Sie verstößt jedenfalls dann gegen den Verfassungsgrundsatz der Verhäldnismäßigkeit, wenn sie keine Ausnahmen vom allgemeinen Anleinzwang vorsieht. Die geltende "Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern in der Stadt Zwickau (PolVO)" vom 9. Oktober 2003 ist deshalb hinsichtlich der Anleinpflicht für Hunde unwirksam.‹
Verfahrensgang
AG Zwickau (Entscheidung vom 19.01.2006; Aktenzeichen 6 OWi 130 Js 8544/05) |
Gründe
I.
Das Amtsgericht Zwickau hat die Betroffene am 19. Januar 2006 wegen vorsätzlichen Führens eines nicht angeleinten Hundes auf einer öffentlichen Straße zu einer Geldbuße in Höhe von 50,00 EUR verurteilt.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene am 11. September 2004 gegen 10:30 Uhr auf öffentlichen Straßen in Zwickau, nämlich auf dem Anton-Günter-Weg, ihre Deutsche Dogge, ohne den Hund angeleint zu haben.
Gegen das Urteil hat die Betroffene durch ihre Verteidigerin rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt und zugleich beantragt, die Rechtsbeschwerde zur Fortbildung des materiellen Rechts zuzulassen. Mit der Sachrüge macht sie insbesondere geltend, dass die Zwickauer Polizeiverordnung vom 09. Oktober 2003 hinsichtlich des angeordneten Leinenzwangs gegen das Übermaßverbot bzw. gegen das Bestimmtheitsgebot verstoße und daher insgesamt unwirksam sei.
Die Generalstaatsanwaltschaft Dresden hat beantragt, die Rechtsbeschwerde der Betroffenen gegen das Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 19. Januar 2006 zuzulassen und auf die Rechtsbeschwerde das Urteil des Amtsgerichts Zwickau aufzuheben und die Betroffene freizusprechen.
II.
Mit Beschluss vom heutigen Tage hat der Senat - Der Einzelrichter - die Rechtsbeschwerde gegen das Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 19. Januar 2006 zur Fortbildung des Rechts, nämlich wegen der Klärungsbedürftigkeit der Frage der Verfassungsgemäßheit der fraglichen Polizeiverordnung, zugelassen und die Sache dem Senat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Die somit zulässige Rechtsbeschwerde führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch der Betroffenen.
1. Die Feststellungen tragen zwar zunächst eine Verurteilung wegen vorsätzlichen Verstoßes gegen die Regelungen der §§ 4 Abs. 3 Satz 1 (i.V.m. § 2) und 17 Abs. 1 Nr. 4 der Polizeiverordnung gegen umweltschädliches Verhalten und Lärmbelästigung, zum Schutz vor öffentlichen Beeinträchtigungen und über das Anbringen von Hausnummern in der Stadt Zwickau (PolVO) vom 09. Oktober 2003, veröffentlicht im "Zwickauer Pulsschlag" Nr. 37/03 vom 15. Oktober 2003.
Nach den amtsgerichtlichen Feststellungen führte die Betroffene ihre Deutsche Dogge, einen für Außenstehende aufgrund seiner Größe furchteinflößenden riesigen Hund, der ca. 80 bis 100 cm in der Höhe misst, auf öffentlichen Straßen in Zwickau, nämlich auf dem Anton-Günter-Weg, ohne ihren Hund angeleint zu haben.
Gemäß § 4 Abs. 3 der vorgenannten Polizeiverordnung dürfen
"Auf öffentlichen Straßen und in Grün- und Erholungsanlagen im Sinne des § 2 dieser Polizeiverordnung ... Hunde nur von aufsichtsfähigen Personen und angeleint geführt werden."
§ 2 der in Bezug genommenen Polizeiverordnung lautet:
"Begriffsbestimmungen
Abs. 1
Öffentliche Straßen sind alle Straßen, Wege und Plätze, die dem öffentlichen Verkehr gewidmet sind oder auf denen ein tatsächlicher öffentlicher Verkehr stattfindet.
Abs. 2
Grün- und Erholungsanlagen sind allgemein zugängliche, insbesondere gärtnerisch gestaltete Anlagen, die der Erholung der Bevölkerung oder der Gestaltung des Orts- und Landschaftsbildes dienen. Zu den Grün- und Erholungsanlagen gehören unter anderem auch Verkehrsgrünanlagen und allgemein zugängliche Kinderspielplätze und allgemein zugängliche Sportplätze."
Ein vorsätzlicher oder fahrlässiger Verstoß gegen die genannte Vorschrift kann gemäß § 17 Abs. 1 Nr. 4 i.V.m. Abs. 3 der Polizeiverordnung mit einer Geldbuße von 5,00 bis 1.000,00 EUR, bei fahrlässigem Handeln bis 500,00 EUR, geahndet werden.
2. Die genannte Polizeiverordnung der Stadt Zwickau vom 09. Oktober 2003 verfügt über eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage und verstößt weder gegen das höherrangige Tierschutzgesetz noch gegen das Grundrecht des Hundehalters auf freie Entfaltung seiner Persönlichkeit noch gegen das Übermaßverbot bzw. den Gleichbehandlungsgrundsatz.
a) Ermächtigungsgrundlage für die genannte Polizeiverordnung ist § 9 Abs. 1 i.V.m. den §§ 1 Abs. 1 und 14 des Polizeigesetzes des Freistaates Sachsen (SächsPolG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 13. August 1999 (SächsGVBl S. 466). Danach können die örtlichen Polizeibehörden (hier der Gemeinderat der Stadt Zwickau) zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben nach dem Sächsischen Polizeigesetz (hier der Gefahr...