Leitsatz (amtlich)
Eine Entscheidung des Oberlandesgerichts nach § 71 Abs. 4 IRG ist nicht gemäß § 2 Abs. 1 ÜAG entbehrlich, wenn die Vollstreckung der gegen den Verfolgten verhängten Freiheitsstrafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt war und sich der Verfolgte vor einem Widerruf der Strafaussetzung in sein Heimatland begeben hat. Eine Anwendung von Art. 2 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk oder Art. 68 Abs. 1 SDÜ ist in diesen Fällen ausgeschlossen (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung, vgl. Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 2011, Az.: OLGAusl 184/10 und vom 24. Mai 2012, Az 2 Ws 214/12).
Tenor
Die Vollstreckung der durch Urteil des Amtsgerichts Dresden vom 30. September 2010 (Az: 220 Ds 315 Js 27761/10) verhängten Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren in der Tschechischen Republik wird für zulässig erklärt.
Gründe
I.
Der Verurteilte wurde durch das in der Beschlussformel bezeichnete Erkenntnis wegen Diebstahls in drei Fällen und versuchten Diebstahls in zwei Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Danach begab sich der Verurteilte wieder in sein Heimatland.
Mit Beschluss vom 6. Mai 2013, rechtskräftig seit dem 14. Juni 2013, widerrief das Amtsgericht Dresden die Strafaussetzung zur Bewährung, weil der Verurteilte in der Bewährungszeit neue Straftaten begangen hatte.
Mit Verfügung vom 23. Juli 2013 lud die Staatsanwaltschaft Dresden den Verurteilten zum Strafantritt. Die Gesamtfreiheitsstrafe ist abzüglich eines Tages der vorläufigen Festnahme und 107 Tagen Untersuchungshaft zu vollstrecken.
Der Ladung zum Strafantritt ist der Verurteilte, der sich in der Tschechischen Republik aufhält, nicht gefolgt.
Ein Auslieferungsersuchen zum Zwecke der Strafvollstreckung wird nicht gestellt werden. Es ist beabsichtigt, die Tschechische Republik um Übernahme der Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe zu ersuchen.
Mit Schrift vom 29. Januar 2014 beantragt die Generalstaatsanwaltschaft Dresden, die Vollstreckung der Gesamtfreiheitsstrafe in der Tschechischen Republik für zulässig zu erklären.
II.
1.
Das Oberlandesgericht ist zu einer Entscheidung über die Zulässigkeit der vom Amtsgericht Dresden verhängten Gesamtfreiheitsstrafe in der Tschechischen Republik gemäß § 71 Abs. 4 IRG berufen, weil sich ein Vollstreckungshilfeersuchen an einen Mitgliedstaat der Europäischen Union nach §§ 85, 71 Abs. 1 IRG richtet.
Eine Zulässigkeitsentscheidung wird auch nicht durch § 2 Abs. 1 ÜAG entbehrlich. Denn eine vertragliche Grundlage für eine Überstellung auf der Grundlage des Übereinkommens über die Überstellung verurteilter Personen vom 21 März 1983 (ÜberstÜbk) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 des Zusatzprotokolls zu diesem Übereinkommen vom 18. Dezember 1997 (ZP-ÜberstÜbk) oder Art. 68 Abs. 1 SDÜ scheidet aus.
Es kann dabei dahingestellt bleiben, ob der Begriff der Flucht im Sinne dieser Bestimmungen allein durch die schlichte Rückkehr des Verurteilten in sein Heimatland erfüllt ist (KG Berlin NJW 2008, 675 mit Anmerkung Böhm), sich der Verurteilte nicht für die Strafvollstreckung zur Verfügung hält (Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 26. April 2010 und OLG Rostock, Beschluss vom 8. Juni 2010, Az: I Ws 128/10) oder derjenige Verurteilte grundsätzlich nicht flüchtig ist, der sich ohne unmittelbaren Zusammenhang mit der Straftat in sein Heimatland begibt und deshalb ein finales Verhalten mit Vereitelungsabsicht vorausgesetzt wird (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 12. August 2013, Az: 1 Ws 141/12; Böhm, NJW 2008, 677; Meyer-Goßner, StPO 53. Aufl. § 112 Rdnr. 13).
Der Senat hatte vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung bisher die Auffassung vertreten, dass eine Flucht jedenfalls dann anzunehmen ist, wenn der Verurteilte entweder einer Ladung zum Strafantritt keine Folge leistet oder aber andere Indizien seinen fehlenden Gestellungswillen zweifelsfrei belegen und deshalb eine Zulässigkeitsentscheidung in Fällen der vorliegenden Art nicht veranlasst sei (Senatsbeschlüsse vom 9. Juni 2011, Az: OLG Ausl 184/10, und vom 24. Mai 2012, Az: 2 Ws 214/12)
Trotz der Annahme einer Flucht ist gleichwohl eine Anwendung der Art. 2 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk oder 68 Abs. 1 SDÜ ausgeschlossen, weil die Vollstreckung der Strafe zum Zeitpunkt der Heimreise des Verurteilten zur Bewährung ausgesetzt war. Der Senat hält insoweit an seiner zitierten Rechtsprechung in Fällen, in denen die Vollstreckung der Strafe zunächst zur Bewährung ausgesetzt war, nicht weiter fest.
Durch die Formulierung in Art. 2 Abs. 1 ZP-ÜberstÜbk "versucht ... zu entziehen, indem er in das Hoheitsgebiet der ersteren Vertragspartei flieht" (und auch die ähnliche Formulierung in Art. 68 Abs. 1 SDÜ) wird klargestellt, dass die Fälle, in denen der Straftäter zu einer Sanktion verurteilt wurde, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde und die Strafaussetzung widerrufen wird, nachdem der Verurteilte sich freiwillig in sein Heimatland begeben hat, von der Vorschrift nicht erfasst wird (vgl. BT-Drs. 14/8995, S. 13, 16).
Schließlich h...