Leitsatz (amtlich)
1. Bewährungsausgestaltende Weisungen und Auflagen nach den §§ 56b und 56c StGB sind nicht schrankenlos verfügbar, sie bedürfen einer aus dem Wortlaut oder dem Sinn dieser beiden Vorschriften zu entnehmenden Rechtsgrundlage
2. Der Widerruf einer Strafaussetzung (oder eine sonstige Reaktion) nach § 56f Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3 StGB wegen Nichtbeachtung einer solchen gerichtlichen Weisung oder Auflage darf nur dann erfolgen, wenn die verletzte Bewährungsanordnung zulässig war.
3. Die durch den Bewährungswiderruf veranlasste sofortige Beschwerde eines Verurteilten indiziert nicht nur eine Prüfung in tatsächlicher Hinsicht, ob der Verurteilte wirklich gegen die Auflage "gröblich oder beharrlich" verstoßen hat, sondern auch - und sogar vorrangig - die Rechtsprüfung (Einschränkung nach § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO), ob die gegebene Auflage gesetzmäßig war .
4. Das mit der Sache befasste Beschwerdegericht kann aus prozessökonomischen Gesichtspunkten zur Schaffung von Rechtsklarheit auch ohne Antrag die gesetzeswidrige Weisung oder Auflage selbst aufheben (Rechtsgedanke des § 56e StGB), weil mit dem Verdikt der Rechtswidrigkeit der betroffenen Anordnung jede weitere Ermessensausübung des Vollstreckungsgerichts hierzu obsolet ist. Das Fehlen eines expliziten Antrages des Verurteilten auf Aufhebung ist unschädlich, da er durch die Aufhebung nicht beschwert wird.
Verfahrensgang
LG Zwickau (Entscheidung vom 08.08.2012; Aktenzeichen 1 StVK 112/12) |
Tenor
1. Auf die sofortige Beschwerde des Verurteilten wird der Beschluss der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zwickau vom 08. August 2012 aufgehoben.
Der Widerrufsantrag der Staatsanwaltschaft Zwickau wird abgelehnt.
2. Die mit Beschluss des Amtsgerichts Aue vom 12. Oktober 2011 erteilte Arbeitsauflage wird aufgehoben.
3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der hierdurch erwachsenen notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers hat die Staatskasse zutragen.
Gründe
I. Das Landgericht Zwickau verurteilte den Beschwerdeführer am 25. August 2009 in der Berufungsinstanz zu der Gesamtfreiheitsstrafe von 2 Jahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 12 Fällen, davon in 10 Fällen in Tateinheit mit unerlaubtem Erwerb von Betäubungsmitteln. Die Vollstreckung dieser Strafe setzte es zur Bewährung aus und bestimmte die Dauer der Bewährungszeit auf drei Jahre sechs Monate. Die Bewährungsüberwachung übernahm wegen Außerachtlassung der Konzentrationsmaxime des § 462a Abs. 4 Satz 3 StPO das erstinstanzliche Amtsgericht Zwickau.
Denn bereits zuvor hatte die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zwickau mit rechtskräftigem Beschluss vom 04. Februar 2009 (Az.: 1 StVK 4/09) die Vollstreckung des letzten Strafdrittels der Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten aus dem Urteil des Amtsgerichts Zwickau vom 26. Oktober 2006 (Az.: 6 Ls 340 Js 22588/05) zur Bewährung ausgesetzt und überwachte deren Verlauf. Dies teilte die eingesetzte Bewährungshelferin auch dem Amtsgerichts Zwickau in vorliegender Sache mit Schreiben vom 16. November 2009 mit.
Mit Verfügung vom 14. Januar 2010 gab das Amtsgericht Zwickau gleichwohl die Bewährungsüberwachung in vorliegender Sache nach § 462a Abs. 2 Satz 2 StPO an das Amtsgerichts Aue ab, nachdem der Verurteilte seinen gewöhnlichen Aufenthalt in dessen Zuständigkeitsbezirk verlegt hatte. Das Amtsgerichts Aue erklärte sich - gleichfalls unter Außerachtlassung der Konzentrationsmaxime des § 462a Abs. 4 Satz 3 StPO - mit Beschluss vom 16. Februar 2010 für zuständig und übernahm fortan die Überwachung.
Der Aufforderung des Amtsgerichts Aue vom 07. September 2010, die Teilnahme der im Bewährungsbeschluss der Berufungskammer vom 25. August 2009 auferlegten ambulanten Nachsorge zur Langzeittherapie nachzuweisen, kam der Verurteilte am 29. September 2010 nach. Nachdem die weiterhin eingebundene Bewährungshelferin dem Amtsgericht Aue mit Berichten vom 11. November 2010 erneut mitteilte, dass die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Zwickau die Bewährungsüberwachung in der Parallelsache innehabe, und mit weiterem Schreiben vom 27. April 2011 über eine sich zunehmend abzeichnende Unzuverlässigkeit des Verurteilten bei der Wahrnehmung von Besprechungsterminen mit der Bewährungshilfe berichtete, führte das Amtsgericht am 12. Oktober 2011 einen Anhörungstermin durch. Nach Ermahnung des Verurteilten über die Einhaltung der Bewährungspflichten und der Androhung, die Strafaussetzung bei erneutem Verstoß ("ohne nochmalige Anhörung") zu widerrufen, erteilte ihm das Amtsgericht nunmehr die zusätzliche Auflage, 60 Stunden gemeinnütziger Arbeit "binnen vier Wochen" nach näherer Weisung des Bewährungshelfers abzuleisten. Eine Begründung für diese Auflage erfolgte nicht.
In der Folgezeit erfüllte der Verurteilte diese Arbeitsauflage nur unzureichend; er leistete insgesamt 25 Stunden ab. Nach entsprechenden Berichten der Bewährungshilfe, einem zunächst auf den 24. Mai 2012 anberaumten, sodann auf den 13. Juni 2012 verleg...