Leitsatz (amtlich)
1. Für die Beweiserleichterung des "äußeren Bildes" eines versicherten Kfz-Diebstahls ist Voraussetzung, dass der Versicherungsnehmer sowohl das Abstellen als auch das anschließende Nichtwiederauffinden des Fahrzeuges beweist.
2. Der behauptete Diebstahl eines Kfz kann auch durch die Verwertung eines Strafurteils als Urkundenbeweis bewiesen werden.
3. Die falsche Angabe der Gesamtlaufleistung eines PKW ist unerheblich und wirkt sich nicht zum Nachteil des Versicherers aus, wenn der Versicherungsnehmer eine Neuwertentschädigung geltend macht.
4. Eine Schadensschätzung ist auch dann möglich, wenn trotz unvollständiger Sachverhaltsaufklärung nur für einen Mindestbetrag ausreichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen.
5. Bei einer vereinbarten Neupreisentschädigung in der Kaskoversicherung beginnt die Frist für die Ersatzbeschaffung erst dann zu laufen, wenn der Versicherer seine Einstandspflicht dem Grunde nach anerkannt hat.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 8 O 982/21) |
Tenor
1. Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
2. Die Kosten des Berufungsverfahrens trägt die Beklagte.
3. Dieser Beschluss und das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar. Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
4. Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf 21.311,90 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Der Kläger begehrt Versicherungsleistungen aus einer Kaskoversicherung sowie Feststellung der Verpflichtung zur Zahlung von Mehrwertsteuer für einen bei der Beklagten gegen Diebstahl versicherten und nach seiner Behauptung entwendeten Pkw Renault Megane Grandtour 1.2..
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Tatbestand der angefochtenen Entscheidung ergänzend Bezug genommen.
Das Landgericht hat der Klage nach Beiziehung der Strafakte des Großen Strafkammer des Landgerichts Dresden sowie der Anhörung des Klägers stattgegeben. Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer Berufung, zu deren Begründung sie rügt, dem Landgericht sei eine mangel- und fehlerhafte Beweiserhebung und -würdigung vorzuwerfen. Der Kläger habe bereits das äußere Bild einer bedingungsgemäßen Fahrzeugentwendung nicht nachgewiesen. Er habe Zeugen nicht benannt; das Landgericht habe fehlerhaft auf seine Anhörung abgestellt, obwohl die Beklagte begründete Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Klägers aufgezeigt habe, dem vorsätzliche und arglistige Obliegenheitsverletzungen zur Last fielen. Diese würden überdies die Leistungsfreiheit der Beklagten rechtfertigen. Das vom Landgericht herangezogene Strafurteil sei für den Nachweis des behaupteten Diebstahlgeschehens nicht ausreichend, die Auseinandersetzung des Landgerichts mit den Feststellungen des Strafurteils nicht überzeugend. Schließlich seien sowohl die vom Landgericht zu Grund und Höhe des zuerkannten Neupreisanspruchs getroffenen Feststellungen als auch die Würdigung des Parteivortrags zur Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers zu beanstanden.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Landgerichts Dresden vom 29.12.2021, Az. 8 O 982/21, abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt die erstinstanzliche Entscheidung.
II. Die zulässige Berufung der Beklagten ist nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Sie bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zur Vermeidung von Wiederholungen nimmt der Senat zunächst auf seinen Hinweisbeschluss vom 20.06.2022 Bezug. Mit ihren Stellungnahmen vom 28.07.2022 und 08.08.2022 zeigt die Beklagte keine Gesichtspunkte auf, die dem Senat - auch nach nochmaliger Prüfung - Veranlassung geben, seine bereits im Hinweisbeschluss mitgeteilte Auffassung zu ändern.
Der Senat ist an die Feststellungen des Landgerichts grundsätzlich gemäß §§ 513 Abs. 1, 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Er ist nur dann gehalten, in eigene Feststellungen einzutreten, wenn konkrete Anhaltspunkte für ernstliche Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen bestehen. Ein konkreter Anhaltspunkt ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen, wobei aber bloß subjektive Zweifel oder Vermutungen nicht ausreichen (BGH, Urteil vom 18.10.2005, Az. VI ZR 270/04, NJW 2006, 152 f., zitiert nach beck-online). Aus Sicht des Berufungsgerichts muss eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass eine erneute Feststellung zu e...