Entscheidungsstichwort (Thema)
Elterliche Sorge: Entzug des gemeinsamen Sorgerechts kommt nur unter engen Voraussetzungen in Betracht
Leitsatz (redaktionell)
Bei fehlender Kooperation der Eltern ist der Entzug der elterlichen Sorge insgesamt nur dann in Betracht zu ziehen, wenn zwischen ihnen ein tragfähiger Grundkonsens in Angelegenheiten von erheblicher Bedeutung nicht mehr erzielt werden kann.
Normenkette
BGB §§ 1671, 1687
Verfahrensgang
AG Dresden (Beschluss vom 12.10.2006; Aktenzeichen 300 F 572/06) |
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Antragsgegners vom 27.11.2006 wird der Beschluss des AG - FamG - Dresden vom 12.10.2006 - 300 F 572/06 - in Ziff. 1 und 2 des Beschlusstenors abgeändert und wie folgt neu gefasst:
Das Aufenthaltsbestimmungsrecht für das Kind B. N. W., geboren am ...1999, wird auf die Antragstellerin übertragen. Der weitergehende Antrag der Antragstellerin wird zurückgewiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
2. Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren werden nicht erhoben, außergerichtliche Kosten nicht erstattet.
3. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 3.000 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Das FamG hat mit dem angefochtenen Beschluss die gemeinsame elterliche Sorge der Parteien für ihr Kind B. N. aufgehoben (Ziff. 1 des Tenors), das Sorgerecht auf die Antragstellerin übertragen (Ziff. 2) und gegenläufige Anträge des Antragsgegners zurückgewiesen (Ziff. 3). Es hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass es den Eltern an einem Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft und - fähigkeit fehle und ihnen deshalb eine Verständigung über sorgerechtliche Angelegenheiten nicht möglich sei. Da das Kind seit mehr als zweieinhalb Jahren bei der Antragstellerin seinen Lebensmittelpunkt habe, sei es - so auch das Ergebnis eines vom FamG eingeholten Sachverständigengutachtens - sinnvoll, ihr das Sorgerecht zu übertragen. Zudem seien die Strukturen und Regeln im mütterlichen Haushalt als für die Entwicklung des Kindes günstig einzuschätzen.
Hiergegen wendet sich die Beschwerde des Antragsgegners. Auch er stützt sich auf das Sachverständigengutachten und entnimmt ihm, dass er besser als die Antragstellerin in der Lage sei, das in seiner Entwicklung beeinträchtigte Kind zu motivieren und zu fördern. Dies liege auch darin begründet, dass er einen sehr liebevollen Umgang mit B. N. übe, wohingegen die Antragstellerin einen eher strengen Erziehungsstil pflege. Als Folge der engen Bindungen zwischen ihm und dem Kind würde ein Wechsel des Kindes in seinen Haushalt auch nicht zu einer Unterbrechung der dem Kind vertrauten Lebensumstände führen. Im Übrigen sei vorliegend ohnehin dem Förderprinzip - gerade im Hinblick auf die Entwicklungsrückstände von B. N. - der Vorrang vor dem Kontinuitätsprizip einzuräumen.
II. Die gem. §§ 621e Abs. 1, 621 Abs. 1 Nr. 1 ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde hat Erfolg, soweit das FamG dem Antragsgegner über das Aufenthaltsbestimmungsrecht hinaus die elterliche Sorge entzogen hat. Die weitergehende Beschwerde ist hingegen unbegründet.
Nach § 1671 Abs. 2 Nr. 2 BGB ist dem Antrag eines Elternteils auf Übertragung der elterlichen Sorge stattzugeben, wenn zu erwarten ist, dass dies - auch unter Berücksichtigung der Gestaltungsmöglichkeiten, die § 1687 BGB für die Ausübung gemeinsamer Sorge eröffnet - dem Wohl des betroffenen Kindes am besten entspricht. Hieran gemessen ist es im vorliegenden Fall ausreichend aber auch geboten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht unter Beibehaltung der gemeinsamen Sorge im Übrigen auf die Antragstellerin zu übertragen.
Das FamG hat im Ergebnis mit Recht den Antrag des Antragsgegners, ihm das alleinige Sorgerecht für B. N. zu übertragen, abgelehnt. Vielmehr entspricht es dem Kindeswohl am besten, das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Antragstellerin zu übertragen. Denn ein Verbleib des Kindes bei der Antragstellerin ist mehr noch als ein Wechsel zum Antragsgegner geeignet, dem Kind die Stabilität und Sicherheit zu geben, die es für eine weiterhin günstige Entwicklung seiner Persönlichkeit unabweisbar braucht. Zwar hat der Senat keinen Zweifel, dass der Antragsgegner wie auch die Antragstellerin bereit und in der Lage ist, den Jungen angemessen zu betreuen und zu erziehen. Seine Art des Umgangs mit dem Kind ist dem der Kindesmutter in Teilbereichen sogar überlegen. So ist er nach den Beobachtungen der Sachverständigen durch zugleich liebevolle und konsequente Hinwendung in der Lage, das Kind auf zu lösende Aufgaben hinzulenken und es zu motivieren, die Aufgaben zu Ende zu führen. Dies scheint der Antragstellerin, die einen von der Sachverständigen als eher derb-draufgängerisch beschriebenen Umgang mit dem Jungen pflegt, weniger gut zu gelingen. Das bedeutet aber nicht, dass nicht auch die Antragstellerin alles unternimmt, um das Kind bestmöglich zu fördern. So ist es in erster Linie ihr zu verdanken, dass der Junge mit wachsendem Erfolg eine Sprachheilschule mit anschließender Hortbetreuung besucht. Die Antragstellerin ist es auch,...