Leitsatz (amtlich)

1. Die Mitteilung einer vorläufigen Rechtsansicht kann die Befangenheit eines Richters nicht begründen.

2. Eine unzulässige Vorfestlegung zu Lasten einer Partei liegt auch nicht in der Anfrage, ob nach § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren vorgegangen werden kann.

 

Verfahrensgang

LG Chemnitz (Aktenzeichen 6 Ri AR 11/19)

 

Tenor

1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Chemnitz vom 28.06.2019 - Az.: 2 O 316/17 - wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

3. Die Rechtsbeschwerde wird nicht zugelassen.

4. Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens wird auf 20.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I. Die Beklagte greift mit ihrer Beschwerde einen Beschluss des Landgerichts Chemnitz an, mit dem ihre Besorgnis der Befangenheit gegenüber der mit der Hauptsache befassten Richterin für unbegründet erklärt wurde. Diese hatte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens und schriftlicher Anhörung der Parteien eine Verfügung mit folgendem Wortlaut erlassen:

"Anfrage an PV beide, ob nach § 128 Abs. 2 ZPO im schriftlichen Verfahren eine Entscheidung zum Haftungsgrund getroffen werden kann. ..."

Die Beklagte meint, die Richterin habe sich hierdurch in unzulässiger Weise bereits im Vorhinein auf eine dem Grunde nach stattgebende Entscheidung im Wege des Urteils festgelegt.

Die für Richterablehnungen zuständige Kammer des Landgerichts Chemnitz hat mit dem hier angefochtenen Beschluss vom 28.06.2019 das Gesuch als unbegründet zurückgewiesen, mit Beschluss vom 11.09.2019 der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht vorgelegt.

II. Die sofortige Beschwerde ist nach § 46 Abs. 2, 2. Alternative ZPO statthaft und im Übrigen form- und fristgerecht eingelegt, mithin zulässig.

In der Sache ist die sofortige Beschwerde unbegründet. Es wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung zu den Grundsätzen etwaiger Befangenheit auf Seite 2 der angefochtenen Entscheidung verwiesen.

Ergänzend ist auszuführen:

Bereits die Prämisse der Beklagten, die Verfügung sei nicht anders als im Sinne einer endgültigen Vorfestlegung zu Gunsten des Klägers zu verstehen, ist unzutreffend. In der Verfügung ist mit keinem Wort der Erlass eines Grundurteils erwähnt. Bei verständiger Würdigung kann die Formulierung "Entscheidung zum Haftungsgrund" ohne Weiteres auch so verstanden werden, dass beispielsweise ein Hinweisbeschluss zur Frage des Vorliegens eines Haftungsgrundes erlassen wird oder dass ein klageabweisendes Urteil ergeht, denn auch ein klageabweisendes Urteil verhält sich ausschließlich zum Haftungsgrund und nicht zur Haftungshöhe. Eine Verengung des Wortlautes "Entscheidung zum Haftungsgrund" allein auf ein klagestattgebendes Grundurteil entspricht nicht der Auslegung, die eine besonnene und vernünftige Partei angesichts einer solchen Verfügung vornehmen würde.

Selbst wenn - wie nicht - diese Auslegung aber die allein mögliche wäre oder diejenige, die sich einer verständigen und besonnenen Partei als einzige Auslegung aufdrängen dürfte, hätte die Beklagte mit ihrem Anliegen keinen Erfolg. Denn dem Richter ist es unbenommen, sich vor Erlass der Entscheidung eine Meinung zu bilden. So ist es beispielsweise das Recht und unter gegebenen Umständen sogar die Pflicht eines Richters, im Rahmen der Prozessleitung seine vorläufige Rechtsansicht kundzutun ohne dass dies als eine unzulässige Vorabfestlegung ausgelegt werden dürfte (vgl. Zöller, ZPO, 32. Aufl., § 42 Rz. 26 m. zahlr. w. Nachw.). Dass aber mit der Verfügung keine unumstößliche Festlegung auf ein bestimmtes Ergebnis erfolgt ist, wird auch durch die in dieser Verfügung ebenfalls eingeräumte Frist zur Stellungnahme belegt.

Aus diesem Grund hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Sie war mit der Kostenfolge des § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Die Rechtsbeschwerde ist nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens war mit dem Wert der Hauptsache anzusetzen (BGH, IX ZB 60/06; IV ZB 3/68; OLG Hamm, I-32 W 9/15 vom 28.07.2015 m. zahlr. w. Nachw.; Zöller/Hergeth, a.a.O., § 3 Rz. 16, Stichwort "Ablehnung eines Richters" m.w.N.).

 

Fundstellen

Haufe-Index 13538448

FA 2020, 20

AK 2020, 1

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