Leitsatz (amtlich)
1. Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobenen Befunde oder die Unterlassung der für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung notwendiger Befunderhebungen in ex-ante Sicht voraus.
2. Unterliegt der Arzt einem vertretbaren Diagnoseirrtum und klärt er den Patienten deshalb unzureichend über mögliche Behandlungsoptionen auf, kommt eine Haftung wegen eines Aufklärungsmangels nicht in Betracht.
Verfahrensgang
LG Zwickau (Aktenzeichen 1 O 349/16) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 12.01.2021 wird aufgehoben.
4. Es ist beabsichtigt, den Gegenstand des Berufungsverfahrens auf 13.000,00 EUR festzusetzen.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zu Recht hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Der Klägerin steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 280 ff, 823 Abs. 1, 249, 253 BGB zu. Zutreffend hat das Landgericht angenommen, dass der Klägerin der Beweis für eine fehlerhafte Behandlung, die den Verlust der Zähne 46 und 47 zur Folge hatte, nicht gelungen ist. Auf die Ausführungen des Landgerichts Zwickau in seinem Urteil vom 08.07.2020 wird Bezug genommen.
Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Beurteilung.
Dem Beklagten kann nicht vorgeworfen werden, dass er am 01.09.2009 die bei der Klägerin vorhandene apikale Parodontitis an den Zähnen 46 und 47 nicht erkannt hat. Der Beklagte hat aus der OPG-Aufnahme vom 31.08.2009 am Zahn 47 Karies diagnostiziert und eine Überkronung der beiden Zähne empfohlen. Es liegt eine objektive Fehldiagnose vor. Die Auffassung der Klägerin, es liege keine Fehldiagnose, sondern eine unterlassene Diagnosefeststellung vor, führt in der Sache zu keinem anderen Ergebnis. Mit dem Landgericht ist davon auszugehen, dass dies keinen Behandlungsfehler darstellt. Grundsätzlich ist zwar das Nichterkennen einer erkennbaren Erkrankung und der für sie kennzeichnenden Symptome als Behandlungsfehler zu werten (vgl. Senat, Beschluss vom 29.07.2019 - 4 U 1078/19 - juris). Irrtümer bei der Diagnosestellung, die in der Praxis nicht selten vorkommen, sind jedoch oft nicht die Folge eines vorwerfbaren Versehens des Arztes. Die Symptome einer Erkrankung sind nämlich nicht immer eindeutig, sondern können auf verschiedene Ursachen hinweisen. Auch kann jeder Patient wegen der Unterschiedlichkeiten des menschlichen Organismus die Anzeichen ein und derselben Krankheit in anderer Ausprägung aufweisen. Diagnoseirrtümer, die objektiv auf eine Fehlinterpretation der Befunde zurückzuführen sind, können deshalb nur mit Zurückhaltung als Behandlungsfehler gewertet werden (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.2003 - VI ZR 304/02 - juris; Senat, Beschluss vom 29.07.2019 - 4 U 1078/19 - juris; vgl. Senat, Urteil vom 15.05.2018 - 4 U 248/16 - juris). Die Wertung einer objektiv unrichtigen Diagnose als Behandlungsfehler setzt die vorwerfbare Fehlinterpretation erhobener Befunde oder die Unterlassung für die Diagnosestellung oder ihre Überprüfung notwendiger Befunderhebungen voraus (vgl. BGH, Urteil vom 08.07.2003 - VI ZR 304/02 - juris). Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige eine vorwerfbare Fehlinterpretation verneint. Maßgeblich ist hierbei die Sicht ex-ante. Der Sachverständige erklärte, dass erst auf dem Zahnfilm der Praxis H... vom 02.07.2010 die periapikale Aufhellung im gesamten Bereich des Zahnes 47 deutlich zu erkennen und damit die Rückinterpretation der periapikalen Befunde auf den Röntgenbildern vom 31.08.2009 und 06.04.2010 leichter gewesen sei. Die Qualität der Röntgenaufnahmen vom 31.08.2009 und 06.04.2010 lasse demgegenüber für sich genommen eine genaue Interpretation nicht zu. Ihm sei der Befund zwar bei der ersten Durchsicht aufgefallen. Er habe jedoch vier Kollegen die OPG-Aufnahmen vorgelegt und drei von vieren hätten den entsprechenden Befund erkannt, einer hingegen nicht. Darüber hinaus habe auch der MDK-Gutachter diese Vorerkrankung nicht entdeckt. Auch die Nachbehandlerin H... hätte die Erkrankung nicht festgestellt, denn sie habe noch in dem Bereich 45, 47 eine Brücke geplant. Darüber sei der Zahn 47 bei den Vitalitätsproben positiv gewesen sei. Werde ein Zahn als vital eingeschätzt, so rechne man nicht m...