Leitsatz (amtlich)

Für konkrete Anhaltspunkte, die in einem Arzthaftungsverfahren Zweifel an der erstinstanzlichen Beweiswürdigung wecken sollen, reicht es nicht aus, dass der Kläger der medizinischen Auffassung eines erstinstanzlich bestellten Gerichtssachverständigen seine eigene entgegenstellt. Erforderlich ist vielmehr, dass er entweder ein Privatgutachten vorlegt, zumindest aber selbst medizinische Fundstellen oder Leitlinien benennt, die für seine Behauptung streiten. Wird ein solches Privatgutachten nicht vorgelegt und fehlt es auch im Übrigen an Anhaltspunkten dafür, dass das Gutachten in sich widersprüchlich oder der Sachverständige erkennbar nicht sachkundig ist, kommt eine Wiederholung der Beweisaufnahme nicht in Betracht.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 07 O 3804/13)

 

Tenor

1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin zu 1 und des Klägers zu 2 ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.

2. Die Klägerin zu 1 und der Kläger zu 2 haben Gelegenheit, innerhalb von drei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollten allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.

 

Gründe

Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin zu 1 und des Klägers zu 2 bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht. Das Landgericht ist nach Einholung eines onkologischen Sachverständigengutachtens in nicht zu beanstandender Weise zu der Feststellung gelangt, dass Behandlungsfehler der Beklagten nicht bewiesen sind. An diese Feststellungen ist der Senat gebunden, denn es liegen keine konkreten Anhaltspunkte vor, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit dieser Feststellungen begründen, § 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO.

1. Allerdings ist das Berufungsverfahren auch nach Inkrafttreten des Zivilprozessreformgesetzes eine zweite - wenn auch eingeschränkte - Tatsacheninstanz, deren Aufgabe in der Gewinnung einer "fehlerfreien und überzeugenden" und damit "richtigen" Entscheidung des Einzelfalles besteht (BGH, Urteile vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - juris.; vom 18. November 2004 - IX ZR 229/03 - juris vom 14. Juli 2004 - VIII ZR 164/03 - juris; Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Reform des Zivilprozesses, BT-Drucks. 14/4722 S. 59 f.; Beschlussempfehlung und Bericht des Rechtsausschusses, BT-Drucks. 14/6036, S. 118, 124). Die Prüfungskompetenz des Berufungsgerichts hinsichtlich der erstinstanzlichen Tatsachenfeststellung ist insbesondere nicht auf Verfahrensfehler und damit auf den Umfang beschränkt, in dem eine zweitinstanzliche Tatsachenfeststellung der Kontrolle durch das Revisionsgericht unterliegt. Auch verfahrensfehlerfrei getroffene Tatsachenfeststellungen sind für das Berufungsgericht nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO nicht bindend, wenn konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Feststellungen unvollständig oder unrichtig sind. Dabei können sich Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen auch aus der Möglichkeit unterschiedlicher Wertung ergeben, insbesondere daraus, dass das Berufungsgericht das Ergebnis einer erstinstanzlichen Beweisaufnahme anders würdigt als das Gericht der Vorinstanz. Besteht aus der für das Berufungsgericht gebotenen Sicht eine gewisse - nicht notwendig überwiegende - Wahrscheinlichkeit dafür, dass im Fall der Beweiserhebung die erstinstanzliche Feststellung keinen Bestand haben wird, ist es zu einer erneuten Tatsachenfeststellung verpflichtet (BGH, Urteil vom 14. Februar 2017 - VI ZR 434/15 - juris; Urteil vom 21. Juni 2016 - VI ZR 403/14 - juris; Urteil vom 9. März 2005 - VIII ZR 266/03 - juris. Senat, Beschluss vom 14. September 2017 - 4 U 975/17 -, Rn. 3, juris).

2. Eine solche Wahrscheinlichkeit ist hier indes nicht gegeben. Die gegen die Beweiswürdigung der Kammer gerichteten Angriffe der Berufung geben keinen Anlass zu einem erneuten Einstieg in Beweisaufnahme, insbesondere nicht zur Einholung eines neuen Gutachtens. Die Berufung macht pauschal die Nichtverwertbarkeit des Gutachtens des Sachverständigen PD Dr. D. geltend, ohne dass indes aufgezeigt würde, an welcher Stelle und aus welchen Gründen dessen Feststellungen in medizinischer Hinsicht fehlerhaft oder unvollständig sein sollen.

a) Zu dem mit der Berufung erneut behaupteten Flüssigkeitsmangel hat der Sachverständige sowohl in seinem Gutachten vom 18.12.2015 als auch in seiner Anhörung vor dem Landgericht jeglichen Zusammenhang mit dem infolge der sepsisbedingten Hypoxie eingetretenen apallischen Syndrom verneint und ausgeführt, ein - unterstellter - Flüssigkeitsmangel hätte allenfalls zu einem Volumen-Mangel-Schock führen könne...

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