Leitsatz (amtlich)
1. Auch bei einer nur relativen Indikation einer Operation muss der Arzt über eine konservative Behandlung nur dann aufklären, wen diese eine echte Wahlmöglichkeit darstellt. Besteht im Falle einer Weiterführung der konservativen Behandlung das Risiko einer Amputation des betroffenen Gelenks, ist dies nicht der Fall.
2. Hat der Arzt die ständige Praxis einer ordnungsgemäßen Aufklärung nachgewiesen und sprechen ausreichende Indizien dafür, dass es auch im konkreten Fall ein Aufklärungsgespräch gegeben hat, sollte dem Arzt im Zweifel geglaubt werden, dass die Aufklärung auch im Streitfall in der gebotenen Weise vorgenommen wurde.
Verfahrensgang
LG Dresden (Aktenzeichen 6 O 3026/17) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 15.09.2020 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Zu Recht hat das Landgericht gestützt auf die sachverständigen Ausführungen die von der Klägerin geltend gemachten Schmerzensgeldansprüche und die Feststellung der Einstandspflicht für Schäden gemäß §§ 630 a ff., 280, 249, 253 BGB verneint. Der Beklagten sind keine Aufklärungsversäumnisse anzulasten.
1) Ohne Erfolg macht die Berufung geltend, die Klägerin sei vor der Operation am 31.07.2020 nicht über Behandlungsalternativen aufgeklärt worden.
Der Sachverständige hat hierzu in seinem Gutachten vom 23.08.2019 (S. 10, 2. Absatz) und in der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht ausgeführt, dass die bei der Klägerin durchgeführte operative Entfernung von Knochenmaterial nach den nationalen Versorgungsleitlinien diabetischer Fuß zur Behandlung des bei ihr vorliegenden diabetischen Fußsyndroms mit infizierten Nekrosen im Sinne einer chronischen Osteomyelitis und eines chronischen plantaren Fersenulkus links indiziert war, nachdem der zuvor durchgeführte konservative Behandlungsversuch gescheitert war. Ausschlaggebend dafür sind dem Sachverständigen zufolge sowohl die im Rahmen der klinischen Untersuchung festgestellten Anhaltspunkte für eine Knochenbeteiligung am Entzündungsprozess als auch der Umstand, dass durch eine Teilresektion des Fersenbeines der erforderliche Platz geschaffen werden könne, um eine Weichteilüberdeckung der schon über einen längeren Zeitraum offenen Wunde zu erreichen.
Auch wenn die Operation nicht zwingend indiziert war, waren die behandelnden Ärzte der Beklagten entgegen der Ansicht der Klägerin nicht verpflichtet, sie über die Möglichkeit einer konservativen Weiterbehandlung aufzuklären. Allerdings ist es zur Wahrung des Selbstbestimmungsrechts des Patienten geboten, ihn über die Alternative zwischen einer konservativen Behandlung und einer Operation aufzuklären, wenn konservative Methoden eine echte Wahlmöglichkeit darstellen, weil sie zumindest gleichwertige Chancen, aber unterschiedliche Risiken in sich bergen (statt vieler: BGH, Urteil vom 22.02.2000, IV ZR 100/99; vgl. Senat, Beschluss vom 28. März 2018 - 4 U 23/18 -, Rn. 4, juris; Beschluss vom 14.02.2018 - 4 U 82/18, juris; OLG Hamm, Urteil vom 15.12.2017 - 26 U 3/14, juris, Rz. 31 m.w.N.). Um eine solche Alternative handelt es sich nur, wenn für eine medizinisch sinnvolle und indizierte Therapie mehrere gleichwertige Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, die zu jeweils unterschiedlichen Belastungen des Patienten führen oder unterschiedliche Risiken und Erfolgschancen bieten. Auch bei einer nur relativen Indikation setzt dies aber voraus, dass die konservative Behandlung eine echte Wahlmöglichkeit darstellt (Senat, Beschluss vom 14. Februar 2018, a.a.O.; Urteil vom 29.3.2012 - 4 U 1609/11, juris). Dies war hier indes nicht der Fall, wie das Landgericht auf der Grundlage der Ausführungen des Sachverständigen zutreffend festgestellt hat. Denn der Sachverständige hat in seiner mündlichen Anhörung vor dem Landgericht als entscheidend angesehen, dass bei einer Fortführung der konservativen Behandlung das Risiko einer Major-Amputation oberhalb des Fußgelenks bestanden hätte und nur mit dem operativen Vorgehen die Funktionsfähigkeit des Fußes erhalten und damit die Funktionalität wieder hergestellt werden könne. Die fehlende Gleichwertigkeit ergibt sich auch aus dem Umstand, dass eine Wundheilung durch konservative Behandlung nach den über einen langen Zeitraum durchgeführten erfolglosen...