Leitsatz (amtlich)
1. Für die Annahme einer Strafbarkeit wegen Verstoßes gegen Weisungen im Rahmen der Führungsaufsicht nach § 145a StGB muss im angefochtenen Urteil die Rechtsfehlerfreiheit der betreffenden Weisung als ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal für das Revisionsgericht überprüfbar vollständig festgestellt werden. Insoweit gilt für den Prüfungsmaßstab des Tatgerichts dieselbe Beschränkung wie für ein Beschwerdegericht in § 463 Abs. 2, § 453 Abs. 2 Satz 2 StPO.
2. Begründete Zweifel an der (weiteren) Erforderlichkeit oder Geeignetheit der Weisung führen in der Regel zum Wegfall der Kausalität für die Gefährdung des Maßregelzwecks und damit zur Straffreiheit.
3. Zur Unerlässlichkeit einer kurzen Freiheitsstrafe, § 47 StGB.
Verfahrensgang
LG Chemnitz (Entscheidung vom 29.04.2014; Aktenzeichen 3 Ns 750 Js 16524/13) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Chemnitz vom 29. April 2014 aufgehoben.
2. Die Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Döbeln hatte den Angeklagten mit Urteil vom 20. Dezember 2013 des "Verstoßes gegen Weisungen der Führungsaufsicht" schuldig gesprochen und ihn deswegen zu der Freiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Die auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung des Angeklagten hat das Landgericht Chemnitz am 29. April 2014 als unbegründet verworfen. Hiergegen richtet sich die Revision des Angeklagten, welche er auf die allgemeine Sachrüge stützt. Er beanstandet insbesondere eine fehlerhafte Anwendung des § 47 Abs. 1 StGB. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur umfassenden Aufhebung des Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
1. Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegangenen amtsgerichtlichen Urteils befunden hat. Aus diesem Grund ist vom Revisionsgericht, wenn, wie hier, das Berufungsgericht wegen der vom Berufungsführer erklärten Berufungsbeschränkung (§ 318 StPO) sich nur mit einzelnen Teilen des Ersturteils befasst hat, auch nachzuprüfen, ob und inwieweit die Berufung rechtswirksam auf diese Teile beschränkt ist (Paul in KK-StPO, 7. Aufl. § 318 Rdnr. 1 a.E.).
Grundsätzlich ist zwar der Rechtsfolgenausspruch (oder auch ein Teil von diesem) eines Urteils allein anfechtbar. Die einem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang seiner Anfechtung gebietet es, den in seinen Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Deshalb darf das Revisionsgericht regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird (Senat, Beschluss vom 10. Februar 2012 - 2 Ss 9/12 -, juris; BayObLG NStZ-RR 2004, 336 f.; OLG Frankfurt NStZ-RR 2003, 23).
Eine wirksame Beschränkung der Berufung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt aber voraus, dass die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum Schuldspruch eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Rechtsfolge bilden. Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist daher unwirksam, wenn der vom Tatgericht ermittelte Sachverhalt überhaupt nicht mit Strafe bedroht ist (Senat, Beschluss vom 21. Juli 2014 - 2 OLG 21 Ss 319/14 -, juris; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO 57. Aufl., § 318 Rdnr 17; BayObLG wistra 1992, 279 = NJW 1992, 3311; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 08. September 2003 - 1 Ss 230/02 -, juris).
2. So liegt der Fall hier.
a) Zwar scheitert der Schuldspruch noch nicht an der fehlenden Mitteilung im für bindend erachteten Sachverhalt, weshalb die auf fünf Jahre bemessene Maßregel, die am 11. Juli 2007 begann, zum Zeitpunkt der Tat (Silvesternacht 2012/2013) noch nicht beendet war, sondern erst nach über sechs Jahren am 25. August 2013 endete. Denn sowohl dem amtsgerichtlichen als auch dem Berufungsurteil ist an anderer Stelle (UA S. 7) zu den persönlichen Verhältnissen des Angeklagten zu entnehmen, dass er wegen einer weiteren Verurteilung durch das Amtsgericht Döbeln (ebenfalls wegen Weisungsverstoßes während der Führungsaufsicht) rechtskräftig seit 26. August 2010 für drei Jahre unter Bewährung stand - mit der Rechtsfolge des § 68 g Abs. 1 S. 2 StGB.
b) Rechtsfehlerhaft aber hat das Landgericht die Berufungsbeschränkung des Angeklagten auf den Rechtsfolgenausspruch für wirksam erachtet, obwohl die Feststellungen des Amtsgerichts zum Tatgeschehen den Schuldspruch wegen ihrer Lückenhaftigkeit nicht tragen. Das Landgericht hat Folgendes für bindend erachtet:
"Der Angeklagte wurde mit Urteil des Landgerichts Zwickau vom 11.05.2004, rechtskräftig seit 11.05.2004, Az.: [...], wegen schweren sexuellen Missbr...