Leitsatz (amtlich)
1. Die einem Rechtsmittelberechtigten in § 318 Satz 1 StPO eingeräumte Verfügungsmacht über den Umfang seiner Anfechtung gebietet es, den in seinen Rechtsmittelerklärungen zum Ausdruck kommenden Gestaltungswillen im Rahmen des rechtlich Möglichen zu respektieren. Deshalb darf das Revisionsgericht regelmäßig diejenigen Entscheidungsteile nicht nachprüfen, deren Nachprüfung von keiner Seite begehrt wird.
Eine wirksame Berufungsbeschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch setzt aber voraus, dass die Feststellungen des erstinstanzlichen Urteils zum Schuldspruch eine ausreichende Grundlage für die Entscheidung des Berufungsgerichts über die Rechtsfolge bilden. Die Beschränkung auf den Rechtsfolgenausspruch ist daher unwirksam, wenn der vom Tatgericht ermittelte Sachverhalt überhaupt nicht mit Strafe bedroht ist.
2. Die "Gewalt" als sehr weitgehender Blankettbegriff des § 113 Abs. 1 StGB ist einzelfallabhängig ausfüllungsbedürftig. Auch wenn ein Sich-Losreißen aus einem Festhaltegriff den Gewaltbegriff im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB erfüllen kann, erfordert es doch stets eine Kraftäußerung, die sich gegen die Person des Vollstreckenden richtet. Dies kann - abhängig von der Intensität des Festhaltegriffs - auch bei einem mit nicht unerheblichem Kraftaufwand erfolgten Entwinden aus dem Festhaltegriff der Fall sein. Ein bloßes Sich-Entziehen aus einem lockeren Griff genügt allerdings, ohne dass anderweitige Aktivitäten (Schläge, Stöße etc.) gegen den Vollstreckungsbeamten ersichtlich sind, nicht.
3. Gemäß § 47 Abs. 1 StGB dürfen Freiheitsstrafen von unter sechs Monaten nur verhängt werden, wenn besondere Umstände in der Tat oder der Persönlichkeit des Täters eine Freiheitsstrafe zur Einwirkung auf ihn oder zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich machen (ultima-ratio-Klausel).
Zwar kommt mit der Existenz des § 47 Abs. 1 StGB grundsätzlich der gesetzgeberische Wille zum Ausdruck, dass die Freiheitsstrafe auch in Fällen der Bagatellkriminalität nicht ohne weiteres gegen das Übermaßverbot verstößt. Bei der Festsetzung der Strafhöhe ist aber gerade in diesem Bereich zu beachten, dass das Mindestmaß von einem Monat (§ 38 Abs. 2 StGB) das Mindeststrafmaß der nach dem Gesetz grundsätzlich primär vorgesehenen Geldstrafe von 5 Tagessätzen (§ 40 Abs. 1 S. 2 StGB) schon deutlich übersteigt und auch die gewählte Sanktionsart für sich genommen eine erheblich belastendere Beschwer darstellt.
Rechtlich verfehlt wäre es, das Strafmaß für eine Tat, deren Unrechts- und Schuldgehalt auch unter Berücksichtigung der Täterpersönlichkeit mit einer Geldstrafe von weniger als 30 Tagessätzen angemessen zu ahnden wäre, nur deshalb auf ein (Mindest)-Strafmaß von einem Monat "anzuheben", weil eine kurze Freiheitstrafe unerlässlich sei.
Verfahrensgang
LG Dresden (Entscheidung vom 28.01.2014; Aktenzeichen 10 Ns 312 Js 43010/12) |
Tenor
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Dresden vom 28. Januar 2014 mit den Feststellungen aufgehoben:
a) im Schuldspruch mit den zugehörigen Feststellungen, ausgenommen derjenigen zur Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen, soweit er die Tat vom 29. Juli 2012 betrifft (Tat Nr. IV.1. 1),
b) im Rechtsfolgenausspruch
aa) hinsichtlich der zugehörigen Einzelstrafe (Tat Nr. IV.1. 1)
bb) hinsichtlich der Einzelstrafen für die Taten vom 23. und 28. Dezember 2012 (Taten Nr. IV.1. 2a und 2b)
cc) hinsichtlich der Gesamtstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Berufungskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
I.
Das Amtsgericht Dresden hatte den Angeklagten mit Urteil vom 12. April 2013 des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte in Tateinheit mit Beleidigung in zwei tateinheitlichen Fällen sowie des Hausfriedensbruchs in zwei Fällen und mit Urteil vom 22. Juli 2013 der Leistungserschleichung in zwei Fällen schuldig gesprochen. Auf die jeweils auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkten Berufungen des Angeklagten hat das Landgericht die beiden Sachen zur gemeinsamen Verhandlung verbunden und ihn wegen der genannten Taten mit Urteil vom 28. Januar 2014 zu der Gesamtfreiheitsstrafe von drei Monaten verurteilt. Hiergegen richtet sich die auf die allgemeine Sachrüge gestützte Revision des Angeklagten. Er beanstandet insbesondere eine fehlerhafte Anwendung des § 47 StGB und die Versagung einer Strafaussetzung zur Bewährung. Die Generalstaatsanwaltschaft hält das Rechtsmittel für unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
II.
Die Revision hat in dem aus der Beschlussformel ersichtlichen Umfang Erfolg. Im Übrigen erweist sie sich aus den Gründen in der Zuschrift der Generalstaatsanwaltschaft vom 16. Juni 2014 als unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Auch ohne eine entsprechende Verfahrensrüge hat das Revisionsgericht zu prüfen, ob ein mit der Revision angefochtenes Berufungsurteil über alle Entscheidungsbestandteile des vorausgegange...