Leitsatz (amtlich)

1. Seit dem 1.1.2009 kann der Versicherungsnehmer den Versicherer gem. § 215 Abs. 1 Satz 1 VVG stets am eigenen Wohnsitz verklagen. Das gilt ungeachtet Art. 1 Abs. 2 EGVVG auch dann, wenn ein Altvertrag (Art. 1 Abs. 1 EGVVG) zugrunde liegt und der geltend gemachte Versicherungsfall vor dem 1.1.2009 eingetreten ist.

2. Sich für den letztgenannten Fall auf den gegenteiligen Standpunkt zu stellen, lässt eine Verweisungsentscheidung des angerufenen Wohnsitzgerichts des Versicherungsnehmers im Allgemeinen nicht willkürlich erscheinen. Anders liegt es aber dann, wenn der Versicherer dem Kunden im Jahre 2008 einen zu den Vertragsunterlagen zu nehmenden Nachtrag übersandt hatte, der zur Überschrift "Gerichtsstand" ohne Einschränkungen bestimmt, dass der Versicherungsnehmer ab dem 1.1.2009 Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag auch bei seinem Wohnsitzgericht geltend machen könne, und das Gericht hierzu vor oder bei der Verweisung trotz entsprechenden ausdrücklichen Vorbringens des Klägers keinerlei nähere Überlegungen anstellt.

 

Verfahrensgang

LG Leipzig (Aktenzeichen 3 O 1916/09)

 

Tenor

Zuständig ist das LG Leipzig.

 

Gründe

I. Der in Leipzig wohnhafte Kläger nimmt die Beklagte, eine in Heidelberg ansässige Versicherungsgesellschaft, aus einer seit dem Jahre 2005 bestehenden Rentenversicherung mit eingeschlossener Berufsunfähigkeitszusatzversicherung in Anspruch. Nach seiner Darstellung ist er seit (spätestens) Anfang Oktober 2008 berufsunfähig. Die zum LG Leipzig mit insgesamt fünf Feststellungs- und Zahlungsanträgen eingereichte Klage wurde der Beklagten am 10.6.2009 zugestellt. Bereits mit der Anordnung des schriftlichen Vorverfahrens wies der Kammervorsitzende auf fehlenden Vortrag zur örtlichen Zuständigkeit des angerufenen Gerichts sowie vorsorglich darauf hin, "dass § 215 VVG im Streitfall gem. Art. 1 Abs. 2 EGVVG keine Anwendung findet (vgl. OLG Stuttgart, 18.11.2008, 7 AR 8/08)"; zugleich fragte er an, ob Verweisungsantrag gestellt werde. Der Kläger entgegnete, dass die Rechtsprechung entgegen dem genannten OLG Stuttgart überwiegend vertrete, dass § 215 VVG auch für Altfälle gelte. Hierauf komme es aber nach den Besonderheiten des vorliegenden Falles nicht einmal an, weil die Beklagte mit ihrem Anschreiben an den Kläger von November 2008 die Versicherungsbedingungen angepasst und dabei ausdrücklich erklärt habe, ab dem 1.1.2009 könnten Ansprüche aus dem Versicherungsvertrag gegen sie beim Gericht des eigenen Wohnsitzes geltend gemacht werden. In der nachfolgenden Klageerwiderung hielt die Beklagte an der im Anschluss an den gerichtlichen Hinweis bereits allgemein erhobenen Zuständigkeitsrüge fest und vertrat die Ansicht, weder aus dem Gesetz noch aus den geänderten Versicherungsbedingungen ergebe sich die Anwendbarkeit des § 215 VVG. Das LG übersandte dem Kläger diesen Schriftsatz zur Stellungnahme mit dem Bemerken, nach vorläufiger Ansicht der Kammer bestehe Veranlassung, zur örtlichen Zuständigkeit ergänzend vorzutragen oder Verweisungsantrag zu stellen. Der Kläger hielt an seiner Auffassung zur Zuständigkeit des angerufenen Gerichts fest und wies ergänzend darauf hin, dass der mit einem entsprechenden Feststellungsantrag bekämpfte, als unwirksam angesehene Rücktritt der Beklagten vom Versicherungsvertrag erst mit Schreiben vom 30.1.2009 ausgesprochen worden sei und deshalb insoweit auch hinsichtlich der Zuständigkeit das Versicherungsvertragsgesetz in der neuen Fassung Anwendung finden müsse. Angesichts der wiederholt geäußerten Zweifel des Gerichts und zur Vermeidung etwaiger Verzögerungen beantragte er im selben Schriftsatz vom 24.9.2009 gleichwohl die Verweisung an das LG Heidelberg.

Am 29.9.2009 hat sich das angerufene LG für örtlich unzuständig erklärt und die Sache auf Antrag des Klägers an das LG Heidelberg verwiesen. Dieses hat die Übernahme mit Beschluss vom 21.10.2009, der beiden Parteien übersandt wurde, abgelehnt, weil das verweisende Gericht, worauf dieses nicht eingegangen sei, kraft vertraglicher Vereinbarung eindeutig zuständig sei. Mit Beschluss vom 27.10.2009 hat das LG Leipzig die Akten dem OLG Dresden zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt.

II.1. Die Voraussetzungen einer Gerichtsstandsbestimmung durch den Senat gem. § 36 Abs. 1 Nr. 6, Abs. 2 ZPO liegen vor.

Das OLG Dresden ist für das Bestimmungsverfahren zuständig, weil das zu seinem Bezirk gehörende LG Leipzig zuerst mit der Sache befasst war. Der negative Kompetenzkonflikt bedarf der Entscheidung, weil sich beide LG "rechtskräftig", also unanfechtbar für unzuständig erklärt haben. Letzteres gilt auch für das LG Heidelberg. Mag allein der Tenor von dessen Entscheidung noch unterschiedliche Deutungen zulassen, ergeben die zur Auslegung heranzuziehenden Gründe eindeutig den Willen (auch) dieses Gerichts, sich für unzuständig zu erklären. Die unterlassene Anhörung der Parteien vor Ablehnung der Übernahme und eigener Unzuständigerklärung hätte zwar zur Folge, dass eine etwaige, ebenfalls konkludent ausgesprochene...

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