Leitsatz (amtlich)

›1. Zulässigkeit der Nebenklage im Sicherungsverfahren nach §§ 395, 413, 414 StPO.

2. Zu den Voraussetzungen der Eröffnung des Sicherungsverfahrens vor der Strafkammer § 63 StGB, §§ 203, 413, 414 StPO.‹

 

Verfahrensgang

LG Görlitz (Beschluss vom 29.01.1999; Aktenzeichen 1 Ks 953 Js 3754798)

 

Gründe

I.

1. Am 23. September 1998 beantragte die Staatsanwaltschaft Görlitz beim Landgericht Görlitz die Durchführung des Sicherungsverfahrens gegen den 38-jährigen Kasachen V. D.

In der Antragsschrift legte sie dem Beschuldigten zur Last, er habe am 10. Februar 1998 gegen 03.25 Uhr am deutsch-polnischen Grenzübergang Ludwigsdorf zwei Zollbeamte erschossen, die bei der Grenzabfertigung den Bus kontrolliert hatten. Hierbei habe er auch zwei Mitreisende verletzt. Der Beschuldigte, der mit einem ordnungsgemäßen Visum über Polen nach Deutschland einreisen wollte, habe sich bei Begehung der Tat infolge einer vorübergehenden, akuten paranoid-psychotischen Störung im Zustand der Schuldunfähigkeit befunden. Da ohne dessen medizinische Behandlung weitere Straftaten zu befürchten seien, werde eine Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 63 StGB anzuordnen sein.

Dem war folgendes Verfahren vorausgegangen: Der Beschuldigte wurde unmittelbar nach dem Vorfall vorläufig festgenommen und befand sich bis 13. Februar 1998 aufgrund Haftbefehls des Amtsgerichts Görlitz vom 10. Februar 1998 in Untersuchungshaft. Am 13. Februar 1998 wurde er aufgrund Unterbringungsbefehls des Amtsgerichts Görlitz vom selben Tag gemäß § 126 a StPO im Sächsischen Krankenhaus für Psychiatrie und Neurologie A. untergebracht. Nach erster Einschätzung war das Amtsgericht davon ausgegangen, dass der Beschuldigte die Tat unter dem Einfluss einer wahnhaften Störung begangen habe und deshalb zwar schuldunfähig aber mit hoher Wahrscheinlichkeit auch künftig für die Allgemeinheit gefährlich sei.

Während seiner vorläufigen Unterbringung wurde der Beschuldigte zunächst durch zwei Sachverständige untersucht, von denen einer ihn selbst in seiner Muttersprache befragen konnte.

Nach Vorlage dieser Gutachten stellte die Staatsanwaltschaft Görlitz den oben genannten Antrag im Sicherungsverfahren.

Das Landgericht Görlitz, bei dem die Antragsschrift am 25. September 1998 einging, wartete noch das Ergebnis einer dritten psychiatrischen Begutachtung des Beschuldigten ab und lehnte sodann durch Beschluss vom 29. Januar 1999 die Durchführung des Sicherungsverfahrens ab, da es aufgrund der nach seiner Auffassung im Ergebnis übereinstimmenden Stellungnahmen der Gutachter keine hinreichende Wahrscheinlichkeit dafür sah, dass eine Hauptverhandlung zu dem Ergebnis führen würde, dass vom Beschuldigten in Zukunft die Gefahr einer neuen, erheblichen strafbaren Handlung ausgehe. Die zur Tatzeit bestehende psychotische Störung, ohne die es zu dieser Tat nicht gekommen wäre, sei nämlich innerhalb weniger Tage danach abgeklungen und bestehe nicht mehr. Da das Landgericht die Durchführung des Sicherungsverfahrens abgelehnt hat, hat es gleichzeitig gemäß § 126a Abs. 3 StPO den vorläufigen Unterbringungsbefehl aufgehoben und die Entlassung des Beschuldigten angeordnet.

Der Beschuldigte wurde am 01. Februar 1999 aus der Unterbringung entlassen, befindet sich aber seither aufgrund Beschlusses des Amtsgerichts Dresden vom selben Tag in Abschiebehaft in der Justizvollzugsanstalt Görlitz.

Gegen den Beschluss, das Sicherungsverfahren nicht zu eröffnen, hat die Staatsanwaltschaft am 01. Februar 1999 beim Landgericht sofortige Beschwerde eingelegt. Die Staatsanwaltschaft bewertet das Ergebnis der Gutachten anders als das Landgericht und geht von einer Gefahr weiterer erheblicher rechtswidriger Taten durch den Beschuldigten und damit von seiner Gefährlichkeit aus. Sie hat beantragt, das Sicherungsverfahren zu eröffnen und die vorläufige Unterbringung des Beschuldigten gemäß § 126 a StPO anzuordnen.

Der Verteidiger hat die Verwerfung der Beschwerde beantragt.

2. Mit Schriftsätzen vom 01. Februar 1999, die am 02. Februar 1999 beim Landgericht Görlitz eingingen, haben Rechtsanwältin H. für H. S., die Ehefrau des getöteten R. S., und Rechtsanwältin K. für D. und U. H., die Eltern des getöteten T. H., erklärt, dass sich diese Angehörigen dem Verfahren als Nebenkläger anschliessen. Zugleich legten beide Prozessbevollmächtigte sofortige Beschwerde gegen den Beschluss des Landgerichts Görlitz vom 29. Januar 1999 ein.

Die Staatsanwaltschaft bei dem Oberlandesgericht Dresden hat beantragt, die Anträge auf Zulassung der Nebenklage und die sofortigen Beschwerden gegen den Beschluss des Landgerichts Görlitz als unzulässig zu verwerfen.

Der hierzu angehörte Verteidiger hat keine Stellungnahme abgegeben.

II.

Die Nebenklage ist in beiden Fällen zulässig.

Das Landgericht hatte noch keinen Anlass, über die Zulässigkeit der Nebenklage zu entscheiden, da bislang lediglich die "Absicht dem Verfahren als Nebenklägerin beizutreten" (Rechtsanwältin H. im Schriftsatz vom 06. März 1998) bzw. die "Vollmacht" mitgeteilt worden war, d...

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