Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen II StVK 2106/03 St-TG) |
Tenor
1.
Die Verfahren 2 Ws 660/03 und 2 Ws 221/04 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden, wobei erstgenanntes Verfahren führt.
2.
Die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt gegen den Beschluss der Auswärtigen Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Leipzig mit dem Sitz in Torgau vom 28. November 2003 wird als unbegründet verworfen.
3.
Der Antrag auf Aussetzung des Vollzugs des angefochtenen Beschlusses hat sich damit erledigt.
4.
Die Staatskasse hat die Kosten des Rechtsmittels und die dem Antragsteller insoweit erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen.
5.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller, ein Strafgefangener, der seine Strafe in der Justizvollzugsanstalt verbüßt, verweigerte am 28. August 2003 die von der Justizvollzugsanstalt von ihm am 26. August 2003 geforderte "freiwillige" Abgabe einer Urinprobe, die er in Anwesenheit eines Vollzugsbediensteten abgeben sollte. Auf Grund dieser Weigerung wurde gegen den Antragsteller mit Bescheid vom 10. September 2003 eine Disziplinarmaßnahme in Form der Beschränkung der Verfügung über das Hausgeld und des Einkaufs bis auf 10,00 EUR für einen Monat verhängt.
Gegen diese Disziplinarmaßnahme wendete sich der Gefangene mit seinem Antrag auf gerichtliche Entscheidung vom 22. September 2003, mit dem er die Aufhebung der Maßnahme erstrebte.
Mit Beschluss vom 28. November 2003 hat die Strafvollstreckungskammer die Disziplinarverfügung der Justizvollzugsanstalt aufgehoben.
Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde der Justizvollzugsanstalt vom 10. Dezember 2003, die das Sächsische Staatsministerium für begründet hält.
II.
1.
Die Rechtsbeschwerde ist zulässig, hat aber in der Sache keinen Erfolg.
Die Voraussetzungen für die Anordnung einer Disziplinarmaßnahme (§ 102 Abs. 1 StVollzG) liegen mangels Rechtsgrundlage nicht vor. Der Antragsteller hat mit seiner Verweigerung der Urinprobe nicht schuldhaft gegen Pflichten verstoßen, die ihm durch das Strafvollzugsgesetz oder auf Grund dieses Gesetzes auferlegt sind.
a)
Die Disziplinarmaßnahme kann nicht auf § 101 StVollzG gestützt werden.
Insoweit kann letztlich offen bleiben, ob diese Vorschrift als Ermächtigungsgrundlage für eine Disziplinarmaßnahme bei Verweigerung einer "freiwilligen", nicht zwangsweise durchgesetzten Urinprobe überhaupt in Betracht kommt (so OLG Koblenz NStZ 1989, 550, 551; offen gelassen auch von OLG Saarbrücken ZfStrVO 1994, 121, 122). Denn zum einen hat die Justizvollzugsanstalt Torgau - wie sich aus ihrer Stellungnahme vom 09. Oktober 2003 gegenüber der Strafvollstreckungskammer ergibt - diese Norm selbst nicht als Ermächtigungsgrundlage herangezogen. Zum anderen liegen auch die Voraussetzungen der Vorschrift hier deshalb nicht vor, weil eine auf diese Norm gestützte Zwangsmaßnahme, wenn sie auf "dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge" liegen soll, nur auf Anordnung und unter Leitung eines Arztes durchgeführt werden darf, § 101 Abs. 3 StVollzG. Dies war hier ersichtlich nicht der Fall.
b)
Die Disziplinarmaßnahme kann auch nicht auf § 56 Abs. 2 StVollzG gestützt werden.
aa)
Diese Vorschrift kommt zwar grundsätzlich als Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer Urinprobe in Betracht, jedenfalls solange die Anordnung der Maßnahme zumindest auchdie Gesundheitsfürsorge des Gefangenen bezweckt (so auch OLG Zweibrücken, Beschluss vom 30. März 1994, - 1 Ws 44/94 - [Vollz]; Calliess/Müller-Dietz, StVollzG 9. Aufl. Rdnr. 5 zu § 56; Romkopf/ Riekenbrauck in Schwind/Böhm, StVollzG 3. Aufl. Rdnr. 8 zu § 56).
bb)
Die Voraussetzungen liegen indes hier nicht vor. Denn die Anordnung einer Urinprobe kann auf § 56 Abs. 2 StVollzG nur bei Vorliegen eines auf Tatsachen beruhenden (konkreten) Verdachts von Rauschmittelmissbrauch gestützt werden (zu diesem Erfordernis vgl. etwa Romkopf/Riekenbrauck a.a.O.).
Ein derartiger Verdacht ist jedoch weder von der Justizvollzugsanstalt dargelegt noch sonst ersichtlich. Soweit die Justizvollzugsanstalt in ihrer - ergänzenden - Stellungnahme vom 05. November 2 003 den Verdacht des Rauschmittel-missbrauchs durch den Antragsteller damit begründet, dass dessen "Augen etwas gerötet waren und er sich schläfrig zeigte", er sich zudem allein in seinen Haftraum zurückgezogen und morgens länger geschlafen sowie sich am nächsten Tag unausgeglichen und schlecht gelaunt gezeigt habe, können diese Symptome nach Ansicht des Senats keinen ausreichenden Verdacht des Rauschmittelmissbrauchs begründen. Insoweit hat die Strafvollstreckungskammer zutreffend darauf hingewiesen, dass diese Beobachtungen durchaus auch allgemeine Folge des Strafvollzugs oder zum Beispiel eines gelegentlichen Unwohlseins eines Gefangenen sein können.
Soweit das Landgericht Augsburg (ZfStrVo 1998, 113) die Anordnung einer Urinprobe für einen wegen Drogendelikten inhaftierten Gefangenen im Hinblick auf eine dann offenkundige Suchtgefährdung auch ohne weitere Verdachtsmomente für zulässig erachtet ...