Leitsatz (amtlich)

  • 1.

    Strafgefangene sind über die in Hamburg in Strafvollzugssachen geltende Widerspruchsfrist von einem Monat ab Bekanntgabe der Maßnahme schriftlich zu belehren, § 6 Abs. 3 Hmb AGVwGO i.V.m. §§ 70 Abs. 1 und 2, 58 Abs. 1 VwGO. Ist die Rechtsmittelbelehrung unterblieben, so ist gemäß § 58 Abs. 2 VwGO die Einlegung des Widerspruchs innerhalb eines Jahres ab Bekanntgabe zulässig.

  • 2.

    Das Ergebnis positiver Urinkontrollen darf im Rahmen eines Disziplinarverfahrens wegen des Konsums unerlaubter Drogen gegen den Strafgefangenen verwendet werden.

 

Verfahrensgang

LG Hamburg (Entscheidung vom 28.10.2003; Aktenzeichen 609 Vollz 238/03)

 

Tenor

Auf die Rechtsbeschwerde des Strafvollzugsamtes wird der Beschluss des Landgerichts Hamburg - Große Strafkammer 9 - vom 28.10.2003 aufgehoben.

Der Antrag des Beschwerdegegners auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarentscheidung der Justizvollzugsanstalt vom 27.05.2003, nämlich auf Anordnung eines zur Bewährung ausgesetzten Wochenendverschlusses mit Fernsehentzug, wird als unbegründet zurückgewiesen.

Der Beschwerdegegner trägt die Kosten des Verfahrens und die notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin. Der Gegenstandswert wird auf 1.000,00 EUR festgesetzt.

 

Gründe

I.

Der Beschwerdegegner ist Insasse der Justizvollzugsanstalt Fuhlsbüttel - Haus II. Für den 23.04.2003 ordnete die Anstalt eine Urinkontrolle an. Der Beschwerdegegner leistete dieser Anordnung Folge. Als Ergebnis der Untersuchung wurden in seinem Urin Amphetamine festgestellt. Da Besitz und Einnahme von Amphetaminen in der JVA verboten sind, leitete die Anstalt gegen den Beschwerdegegner ein Disziplinarverfahren ein. Im Hinblick darauf legte der Beschwerdegegner am 25.05.2003 Widerspruch ein, der von der Anstalt mit dem Hinweis, dass noch kein anfechtbarer Bescheid vorliege, zurückgewiesen wurde. Am 27.05.2003 verhängte die Anstalt gegen den Beschwerdegegner einen Wochenendverschluss mit Fernsehentzug und setzte die Vollstreckung dieser Maßnahme bis zum 27.08.2003 zur Bewährung aus. Eine schriftliche Rechtsmittelbelehrung wurde nicht erteilt. Am 15.09.2003 stellte der Beschwerdegegner den Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Disziplinarentscheidung vom 27.05.2003.

Das Landgericht hält den Feststellungsantrag für begründet. Es ist der Ansicht, dass die Anstalt das Ergebnis der Urinkontrolle nicht zum Anlass nehmen durfte, gegen den Beschwerdegegner eine Disziplinarmaßnahme zu verhängen. Denn die Anstalt könne mit dem Ergebnis der Kontrolle nicht den rechtsgültigen Beweis eines Verstoßes gegen die Anstaltsordnung führen, da dem ein Beweisverwertungsverbot entgegen stehe. Dieses Verbot ergebe sich aus dem in Art. 1 GG angesiedelten Grundsatz, wonach niemand dazu verpflichtet werden dürfe, aktiv an Maßnahmen mitzuwirken, deren Ergebnis ihn selbst strafrechtlicher Verfolgung oder ähnlicher Maßnahmen aussetzt, denn eine Verpflichtung, an der Überführung der eigenen Person mitzuwirken, sei unzumutbar (nemo tenetur se ipsum accusare). Dieser für den Bereich des Strafrechts anerkannte Grundsatz müsse auch für das Disziplinarverfahren der §§ 102 ff StVollzG gelten. Denn das Disziplinarverfahren sei mit dem Strafverfahren insoweit vergleichbar, als es auf Repression - die Ahndung eines schuldhaften Verhaltens - abzielt. Für den Bereich des beamtenrechtlichen Disziplinarverfahrens habe der Bundesgerichtshof das im Übrigen auch anerkannt (vgl. BGH NJW 2002, 834 ff;).

II.

Mit seiner den Erfordernissen des § 118 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 StVollzG genügenden Rechtsbeschwerde greift das Strafvollzugsamt den Beschluss des Landgerichts an.

Die Rechtsbeschwerde ist nach Maßgabe des § 116 Abs. 1 StVollzG zulässig. Die aufgezeigte Rechtsauffassung des Landgerichts ist fehlerhaft. Im Hinblick darauf leidet der angefochtene Beschluss an einem strukturellen Fehler, auf welchem die Entscheidung auch beruht, sodass eine Überprüfung der Entscheidung zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung sowie zur Fortbildung des Rechts geboten ist.

1.

Zutreffend geht das Landgericht von einem zulässigen Feststellungsantrag aus. Ein berechtigtes Interesse an der Feststellung einer rechtswidrigen Disziplinarmaßnahme ist schon wegen etwaiger nachteiliger Folgen für künftige Vollzugs- oder Entlassungsentscheidungen zu bejahen (vgl. auch Callies/Müller-Dietz, StVollzG, 9. Aufl. 2002, § 115 Rn 13 m.w.N.).

Das Landgericht hat bei der im Rahmen der Zulässigkeit des Antrags erörterten Frage, ob der Antrag nicht deshalb unzulässig sei, weil der Beschwerdegegner nach Erlass der Disziplinarmaßnahme keinen Widerspruch eingelegt habe, sodass ein Anfechtungs- oder Verpflichtungsantrag vor Eintritt der Erledigung verfristet gewesen wäre (vgl. OLG Frankfurt NJW 2003, 2843, 2844), zu Recht die Ansicht vertreten, dass auf Grund der unterbliebenen schriftlichen Rechtsmittelbelehrung des Beschwerdegegners durch die Anstalt die Widerspruchsfrist gegen die angeordnete Disziplinarmaßnahme ein Jahr beträgt. Gemäß § 109 Abs. 3 StVollzG i.V.m. §§ 6 ...

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