Leitsatz (amtlich)
1. Bei Erstellung eines fristgebundenen Schriftsatzes (hier: Berufungsbegründung) hat der Rechtsanwalt auch dann die durch seine Kanzleikraft zuvor vorgenommene Fristberechnung zu überprüfen, wen er im Home-Office tätig ist und ihm die papiergebundene Handakte dort nicht vorliegt.
2. Unterlässt er eine solche Prüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist nicht in Betracht.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 543/19) |
Tenor
I. Der Antrag des Klägers, ihm Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist gegen das Urteil des Landgerichts Leipzig vom 16.5.2024 zu gewähren, wird zurückgewiesen.
II. Die Berufung des Klägers wird als unzulässig verworfen.
III. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
IV. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 102.162.57 EUR festgesetzt.
Gründe
I. Die Parteien streiten um Leistungen aus einer bei der Beklagten gehaltenen Berufsunfähigkeitsversicherung. Wegen der Einzelheiten wird auf das angefochtene Urteil Bezug genommen. Mit dem der Klägervertreterin am 22.5.2024 zugestellten Urteil hat das Landgericht die Klage abgewiesen. Die Berufungsschrift ist am Montag, dem 24.6.2024, die Berufungsbegründung am Mittwoch, dem 24.7.2024 auf dem Server des Oberlandesgerichts eingegangen. Mit Verfügung vom 25.7.2024, der Klägervertreterin zugegangen am 31.7.2024, wurde der Kläger auf die beabsichtigte Verwerfung der Berufung wegen Nichteinhaltung der Berufungsbegründungsfrist hingewiesen. Mit am 7.8.2024 eingegangenem Schriftsatz hat der Kläger Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist beantragt. Unter Vorlage einer eidesstattlichen Versicherung der Kanzleimitarbeiterin seiner Prozessbevollmächtigten sowie eines Auszugs aus deren kanzleiinternen Fristenkalender behauptet er, die fehlerhafte Eintragung der Berufungsbegründungsfrist beruhe auf einem Versehen der seit 2013 ohne Beanstandungen mit der Führung des Fristenkalenders betrauten Kanzleikraft C... H... Im vorliegenden Fall habe die Prozessbevollmächtigte zusätzlich noch eine Einzelanweisung erteilt, die Berufungsbegründungsfrist einzutragen, nachdem sich die Kanzleikraft wegen einer fehlenden Rechtsmittelbelehrung unter dem erstinstanzlichen Urteil hilfesuchend an sie gewandt habe. Die Berufungsbegründung habe die Prozessbevollmächtigte sodann vor Antritt ihres vom 18.7. - 23.7.2024 dauernden Urlaubs entworfen und die Kanzleikraft mit deren Ausfertigung beauftragt. Den Fehler in der Fristenberechnung habe sie nicht bemerkt, da sie "mit elektronischen Dokumenten" arbeite, das Empfangsbekenntnis zu dem in Papierform übersandten Urteil des Landgerichts sich jedoch "in der Papierakte" befunden habe. Die Berufungsbegründung sei sodann nach ihrer Rückkehr aus dem Urlaub am 24.7.2024 versandt worden.
II. Die Berufung des Klägers war wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen. Die gemäß § 520 ZPO bestimmte zweimonatige Frist lief am 22.7.2024 ab. Diese Frist hat der Kläger versäumt. Dem Kläger war auch keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Zwar ist die bis zum 22.8.2024 laufende Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 ZPO gewahrt, auch hat der Kläger innerhalb dieser Frist die Berufungsbegründung nachgeholt. Ein Wiedereinsetzungsgrund im Sinne des § 233 ZPO liegt aber nicht vor. Das Fristversäumnis beruht auf einem Verschulden seines Prozessbevollmächtigten, das sich der Kläger gem. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen muss.
Allerdings ist dem Kläger nicht das Versehen der Kanzleimitarbeiterin zuzurechnen, die bei der Eintragung der Berufungsbegründungsfrist in den Fristenkalender übersehen hat, dass diese ausgehend vom Datum der Zustellung des erstinstanzlichen Urteils bereits am 22.7.2024 ablief. Ein Rechtsanwalt hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichthofs durch organisatorische Vorkehrungen sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig gefertigt und innerhalb der laufenden Frist beim zuständigen Gericht eingeht. Hierzu hat er grundsätzlich sein Möglichstes zu tun, um Fehlerquellen bei der Eintragung und Behandlung von Rechtsmittel- und Rechtsmittelbegründungsfristen auszuschließen (st. Rspr.; vgl. nur BGH, Beschlüsse vom 4. November 2014 - VIII ZB 38/14, aaO Rn. 8; vom 22. September 2015 - XI ZB 14/14, juris Rn. 11; vom 29. September 2016 - I ZB 31/16, juris Rn. 11; vom 9. Mai 2017 - VIII ZB 5/16, NJW-RR 2017, 953 Rn. 8; jeweils mwN). Ein bestimmtes Verfahren ist insoweit weder vorgeschrieben noch allgemein üblich. Auf welche Weise der Rechtsanwalt sicherstellt, dass die Eintragung im Fristenkalender und die Wiedervorlage der Handakten rechtzeitig erfolgen, steht ihm daher grundsätzlich frei (BGH, Beschluss vom 4. September 2018 - VIII ZB 70/17 -, Rn. 13, juris). Hiervon ausgehend darf der Rechtsanwalt die Berechnung und Notierung von Fristen einer gut ausgebildeten, als zuverlässig erprobten und sorgfältig überwachten Bürokraft übert...