Leitsatz (amtlich)
Eine retrograde Amnesie, die nach einem Sturzereignis auftritt, ist auch dann als krankhafte Störung infolge einer psychischen Reaktion im Sinne von Ziff. 5.2.6 AUB anzusehen, wenn der Unfall zur Ausschüttung von Stresshormonen geführt hat, die zu hirnorganischen Veränderungen geführt haben, mit denen sich der dissoziative Gedächtnisverlust erklären lässt.
Verfahrensgang
LG Leipzig (Aktenzeichen 03 O 2871/13) |
Tenor
1. Der Senat beabsichtigt, die Berufung der Klägerin ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss zurückzuweisen.
2. Die Klägerin hat Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen Stellung zu nehmen. Sie sollte allerdings auch die Rücknahme der Berufung in Erwägung ziehen.
3. Der Termin zur mündlichen Verhandlung vom 19.12.2017 wird aufgehoben.
Gründe
Der Senat beabsichtigt, die zulässige Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO ohne mündliche Verhandlung durch - einstimmig gefassten - Beschluss zurückzuweisen. Die zulässige Berufung der Klägerin bietet in der Sache offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat auch weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts durch Urteil. Auch andere Gründe gebieten eine mündliche Verhandlung nicht.
Das Landgericht hat im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer Invaliditätsleistung aus der bei der Beklagten gehaltenen Unfallversicherung verneint.
Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass sie am 05.09.2010 in der behaupteten Weise gestürzt ist und dass sie in Folge dieses Geschehens den dargestellten dauerhaften Gesundheitsschaden erlitten hat. Dem Anspruch steht aber entgegen, dass die von der Klägerin angegebenen Beschwerden nach dem Ergebnis der vom Landgericht durchgeführten Beweisaufnahme nicht auf eine unfallbedingte organische Verletzung zurückzuführen sind, so dass die Beklagte das Vorliegen eines Ausschlusstatbestandes nach Ziffer 5.2.6. der dem Vertragsverhältnis zugrunde liegenden AUB 2000 bewiesen hat. Die bei der Klägerin nach dem behaupteten Sturzereignis aufgetretene retrograde Amnesie ist als eine krankhafte Störung anzusehen, die - wie hier zu ihren Gunsten unterstellt werden soll - zwar durch einen Unfall verursacht wurde, aber als Folge einer psychischen Reaktion im Sinne von Ziffer 5.2.6 der Versicherungsbedingungen aufgetreten ist und daher vom Versicherungsschutz ausgenommen bleibt. Der Ausschlussklausel in Ziffer 5.2.6., gegen deren Wirksamkeit im Rahmen einer Inhaltskontrolle keine Bedenken bestehen, kann ein verständiger Versicherungsnehmer entnehmen, dass der Unfallversicherungsschutz bei psychisch vermittelten Krankheitszuständen nicht gelten soll. Sie umfasst Gesundheitsschädigungen infolge psychischer Reaktionen, die sowohl auf Einwirkungen von außen über Schock, Schreck Angst und ähnliches erfolgen, als auch auf unfallbedingter Fehlverarbeitung beruhen. (vgl. BGH, Urt. v. 23.06.2004 - IV ZR 130/03 -, Urt. v. 29.9.2004, - IV ZR 233/03 -, zitiert nach Juris). Wodurch die psychische Reaktion verursacht wurde, ist für das Vorliegen des Ausschlusstatbestandes unerheblich. Die Klausel greift nur dann nicht ein, wenn eine organische Schädigung auf Grund eines Unfalls eingetreten ist, die sodann zu einem psychischen Leiden führt (vgl. BGH a.a.O., RdNr. 18, 19; OLG Karlsruhe, Beschl. v. 09.09.2015, 9 U 53/14 m.w.N.). Die Klausel soll in dieser Auslegung dem Versicherer eine möglichst zuverlässige Tarifkalkulation ermöglichen und daher den Unfallversicherungsschutz auf solche Gesundheitsschäden beschränken, deren Entstehung objektiv fassbar ist (vgl. BGH a.a.O., RdNr. 28). Die Beweislast für eine "psychische Reaktion" obliegt dabei dem Versicherer.
Soweit die Klägerin mit ihrer Berufung geltend macht, dass die unfallbedingte Ausschüttung von Stresshormonen die psychische Reaktion hervorgerufen haben soll, ist eine ergänzende Beweisaufnahme nicht geboten. Ob und inwieweit psychische Vorgänge im Körper eines Menschen mit bestimmten biochemischen Prozessen im Körper zusammenhängen, hat keine Auswirkungen auf das Verständnis des Ausschlusstatbestandes "psychische Reaktion".
Nach Darstellung der Klägerin wurde eine für die Frage von Invaliditätsleistungen allein entscheidende retrograde Amnesie durch den Unfall vom 05.09.2010 verursacht. Der neurochirurgische Sachverständige Dr. K. hat eine gesundheitliche Beeinträchtigung der Klägerin bestätigt, jedoch eine organische Ursache für diese Störung nachvollziehbar und mit überzeugender Begründung ausgeschlossen. Der Untersuchungsbefund des Nervensystems war normal, im Schädel-CT sei keine knöcherne Verletzung erkennbar und auch am Gehirn seien keine Verletzungsfolgen wie Narben oder Blutauflagerungen sichtbar gewesen. Im Ergebnis hat der Sachverständige wegen des bei der Klägerin konkret vorliegenden Verletzungsbildes und insbesondere wegen der auf einzelne Gedächtnisinhalte bezogenen Amnesie ohne sonstigen kognitiven Defizite eine ...